Den Griechen war deshalb das geschlechtliche Symbol das ehrwürdige Symbol an sich, der eigentliche Tiefsinn innerhalb der ganzen antiken Frömmigkeit. Alles einzelne im Akte der Zeugung, der Schwangerschaft, der Geburt erweckte die höchsten und feierlichsten Gefühle. In der Mysterienlehre ist der Schmerz heilig gesprochen: die »Wehen der Gebärerin« heiligen den Schmerz überhaupt, – alles Werden und Wachsen, alles Zukunft-Verbürgende bedingt den…
Wesen der Wahrheit
Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen. MENSCHLICHES ALLZUMENSCHLICHES Das Leben kein Argument. – Wir haben uns eine Welt zurechtgemacht, in der wir leben können – mit der Annahme von Körpern, Linien, Flächen, Ursachen und Wirkungen, Bewegung und Ruhe, Gestalt und Inhalt: ohne diese Glaubensartikel hielte es jetzt keiner aus zu leben! Aber damit…
Grausamer Grund der Kreativität
. . . das Sein der endlichen Dinge als solches ist, den Keim des Vergehens als ihr Insichsein zu haben; die Stunde ihrer Geburt ist die Stunde ihres Todes. – HEGEL Logik Dionysos: Sinnlichkeit und Grausamkeit. Die Vergänglichkeit könnte ausgelegt werden als Genuß der zeugenden und zerstörenden Kraft, als beständige Schöpfung. – NIETZSCHE Wille zur…
Hass auf die Einsamen
Ungerechtigkeit und Schmutz werfen sie nach dem Einsamen: aber mein Bruder, wenn du ein Stern sein willst, so mußt du ihnen deshalb nicht weniger leuchten! Und hüte dich vor den Guten und Gerechten! Sie kreuzigen gerne die, welche sich ihre eigne Tugend erfinden – sie hassen den Einsamen. ALSO SPRACH ZARATHUSTRA
Was ist also Wahrheit?
Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen, kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauche einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen,…
Was den Menschen vom Tier unterscheidet
. . . und wenn die gesamte Natur sich zum Menschen hindrängt, so gibt sie dadurch zu verstehen, daß er zu ihrer Erlösung vom Fluche des Tierlebens nötig ist und daß endlich in ihm das Dasein sich einen Spiegel vorhält, auf dessen Grunde das Leben nicht mehr sinnlos, sondern in seiner metaphysischen Bedeutsamkeit erscheint. Doch…
Der Intellekt als Mittel zur Erhaltung des Individuums entfaltet sein Hauptkräfte in der Verstellung
. . . denn diese ist das Mittel, durch das die schwächeren, weniger robusten Individuen sich erhalten, als welchen einen Kampf um die Existenz mit Hörnern oder scharfem Raubtier-Gebiß zu führen versagt ist. Im Menschen kommt diese Verstellungskunst auf ihren Gipfel: hier ist die Täuschung, das Schmeicheln, Lügen und Trügen, das Hinter-dem-Rücken-Reden, das Repräsentieren, das…
Der gemütliche Atheismus der DDR
Es gibt eine verblüffende Stelle in Nietzsches ANITCHRIST (10): “Der protestantische Pfarrer ist Großvater der deutschen Philosophie, der Protestantismus selbst ihr peccatum originale [ihre Erbsünde]. Definition des Protestantismus: die halbseitige Lähmung des Christentums – und der Vernunft …” IMHO hatte das von Nietzsche beklagte deutsche Programm – der Säkularisierung im Kielwasser des Protestantismus – seine…
Etappen zur Überwindung des Nihilismus
Nackt hatte ich einst Beide gesehn, den grössten Menschen und den kleinsten Menschen: allzuähnlich einander, allzumenschlich auch den Grössten noch! Von da an sind alle meine Schriften Angelhaken: vielleicht verstehe ich mich so gut als jemand auf Angeln? … Wenn Nichts sich fing, so liegt die Schuld nicht an mir. Die Fische fehlten. Wir aber…
Todestrieb
Das Jasagen zum Leben selbst noch in seinen fremdesten und härtesten Problemen; der Wille zum Leben im Opfer seiner höchsten Typen der eignen Unerschöpflichkeit frohwerdend – das nannte ich dionysisch, das verstand ich als Brücke zur Psychologie des tragischen Dichters. Nicht um von Schrecken und Mitleiden loszukommen, nicht um sich von einem gefährlichen Affekt durch…
Identität ist einer Funktion der Schwäche
Daß die Lämmer den großen Raubvögeln gram sind, das befremdet nicht: nur liegt darin kein Grund, es den großen Raubvögeln zu verargen, daß sie sich kleine Lämmer holen. Und wenn die Lämmer unter sich sagen »diese Raubvögel sind böse; und wer so wenig als möglich ein Raubvogel ist, vielmehr deren Gegenstück, ein Lamm – sollte…
Nur das Unnatürliche kann die Natur zur Preisgabe ihrer Geheimnisse zwingen
Es giebt einen uralten, besonders persischen Volksglauben, dass ein weiser Magier nur aus Incest geboren werden könne: was wir uns, im Hinblick auf den räthsellösenden und seine Mutter freienden Oedipus, sofort so zu interpretiren haben, dass dort, wo durch weissagende und magische Kräfte der Bann von Gegenwart und Zukunft, das starre Gesetz der Individuation, und…
Naivität des Wissenschaftlers
Jede Zeit hat ihre eigene göttliche Art von Naivetät, um deren Erfindung sie andre Zeitalter beneiden dürfen: – und wie viel Naivetät, verehrungswürdige, kindliche und unbegrenzt tölpelhafte Naivetät liegt in diesem Überlegenheits-Glauben des Gelehrten, im guten Gewissen seiner Toleranz, in der ahnungslosen schlichten Sicherheit, mit der sein Instinkt den religiösen Menschen als einen minderwerthigen und…
Logik des Traums
Freud soll irgendwann aufgehört haben, Nietzsche zu lesen, weil es ihn demotivierte, seine Theorie fortzubauen. Vielleicht hat er ihn aber heimlich doch gelesen und dann nurmehr ausgedeutet. Der 13 Aphorismus in Menschliches Allzumenschliches, in welchem Nietzsche beschreibt, wie und warum wir träumen, ist eines des bemerkenswertesten Zeugnisse deutscher Luzidität: “Im Schlafe ist fortwährend unser Nervensystem…
Das Ungriechische im Christentum
Die Griechen sahen über sich die homerischen Götter nicht als Herren und sich unter ihnen nicht als Knechte, wie die Juden. Sie sahen gleichsam nur das Spiegelbild der gelungensten Exemplare ihrer eignen Kaste, also ein Ideal, keinen Gegensatz des eignen Wesens. Man fühlt sich miteinander verwandt, es besteht ein gegenseitiges Interesse, eine Art Symmachie. Der…
Persönliche Notwendigkeit des Unglücks
…alles, was mit dem Unglück verbunden sein kann, kümmert den lieben Mitleidigen nicht: er will helfen und denkt nicht daran, daß es eine persönliche Notwendigkeit des Unglücks gibt, daß mir und dir Schrecken, Entbehrungen, Verarmungen, Mitternächte, Abenteuer, Wagnisse, Fehlgriffe so nötig sind wie ihr Gegenteil, ja daß, um mich mystisch auszudrücken, der Pfad zum eigenen…
Wer nicht genau sieht, sichert sich einen Vorsprung
Herkunft des Logischen. – Woher ist die Logik im menschlichen Kopfe entstanden? Gewiß aus der Unlogik, deren Reich ursprünglich ungeheuer gewesen sein muß. Aber unzählig viele Wesen, welche anders schlossen, als wir jetzt schließen, gingen zugrunde: es könnte immer noch wahrer gewesen sein! Wer zum Beispiel das »Gleiche« nicht oft genug aufzufinden wußte, in betreff der…
RAMAYANA
„Affe, in einem Augenblick wie diesem – warum bist noch unzufrieden?“ Hanuman antwortete: „Herr, das Armband, obwohl es teuer aussah, war doch in Wirklichkeit wertlos, denn nirgends trug es deinen Namen. Was bedeutet mir etwas Kahles?“ Vibhishana rümpfte die Nase: „Dann verstehe ich nicht, welchen Wert dein Leben für dich hat. Warum zerstörst du nicht…
P. Bowles HIMMEL ÜBER DER WÜSTE
Da wir nicht wissen wann wir sterben werden, sehen wir das Leben wie einen unerschöpflichen Brunnen. Und doch geschieht alles nur wenige Male. Unsere Erlebnisse wiederholen sich nur sehr selten. Wie oft noch wirst du dich an einen Nachmittag in deiner Kindheit erinnern? Einen Nachmittag, der sich so tief in dein Wesen eingeprägt hat, das…
Büren
Wenn es erst mal fünf Uhr ist, wird die Sonne aufgegangen sein. Der Schäfer blickte über das Tal und auf die kleinen schwarzen Baumgestalten an Horizont der gegenüberliegenden Hochfläche, die sich gegen den schmalen Streifen des Morgenrots abhoben. Weiter hinten noch lagen die Dörfer, im Tal aber die kleine Kreisstadt. Sie wurde von zwei Flüssen…
Das Rasthaus
Mein Gasthaus steht am Wege, eines Tages aber kam ein Mann.”Haben Sie ein Zimmer für mich?” sagte er. “Wir sind ein Rasthaus”, sagte ich. “Wir leben davon.” Er blickte mir tief in die Augen,nahm stumm den Schlüssel aus meiner Hand und verschwand in seinem Zimmer. Die Gäste vom Wege kamen und gingen, die Mode veränderte…
Mein Haus
Mein Haus bleibt sauber. Ich habe das schönste Haus in der Stadt. Gar mancherlei Auszeichnungen,viele ehrenvolle Besuche und Besichtigungen weiß ich zu verzeichnen. Sie gehen durch die Zimmer, wenden sich rechts und, auf meine erklärenden Worte hin, links herum, geben ihrer Bewunderung Ausdruck und lassen – in den Winkeln ihrer Augen sehe ich es mit…
Lieber nicht
Da sitzt er an seinem Tisch in der Reihe in der Stille der Bibliothek und ist geschäftig. Plötzlich da Klappern von Holzlatschen, ein Windhauch und am Tisch vor ihm sitzt… sie, seine platonische Liebe. Was macht sie denn genau vor ihm, wo so viele Tische frei sind? Warum setzt sie sich nicht hinter ihn, wenn…
Splitter
Auf der Autobahn Frankfurt-Mannheit stossen am Kilometer 62 um 14.53.36.38 h eine grauer PKW und ein grauer LKW zusammen. Diese beiden Gesellen haben sich wohl vor einiger Zeit auf den Weg gemacht und sich auch getroffen, obwohl es gar nicht von ihnen beabsichtigt war. Wenn aber der PKW nur eine 1.000stel Sekunde später abgefahren wäre,…
Warten auf den Omnibus
Wenn du an der Endstation auf den Omnibus wartest und er kommt und kommt nicht,wenn du auf deine Uhr guckst, ungeduldig an dem Rädchen drehst, als ob die Zeit so schneller verging, aber die Feder zerspringt und die Zeiger feststehen, wenn der Straßenlärm um dich verstummt und die Menschen geräuschlos an dir vorbeiziehen, wenn die…
Ich sitze in meinem Geschäft und verkaufe (…).
Ich liebe (…) und niemals, niemals in meinem Leben wäre ich auf die Idee gekommen, einen anderen Beruf zu wählen. Meine Kunden kommen gern zu mir. Hinter meinem Ladentisch stehend, unterhalte ich mich noch länger mit ihnen, wenn sie gekauft haben. Und es gibt ja auch genug zu erzählen. Abends schließe ich die Läden, revidieren…
Der Verkehrspolizist
Mitten auf einer viel befahrenen Kreuzung, durch die Auspuffgase der Autos kaum sichtbar, steht der Verkehrspolizist und gibt seine Zeichen. Sein schmutziger kleiner Turm, der ihn über die Autodächer blicken lässt, ist von einem Erdkreis umgeben, auf dem früher einmal Rasen gewachsen ist. Seine Bewegungen mit den Armen werden von den Autofahrern kaum noch wahrgenommen,…
Der beständige Freier
Andreas, lieber Schutzpatron, Gib mir doch nur einen Mann! Räche doch jetzt meinen Hohn, Sieh mein schönes Alter an! Krieg ich einen oder keinen? – Einen. Einen krieg ich? Das ist schön! Wird er auch beständig sein? Wird er auch zu andern gehn? Oder sucht er mir allein Und sonst keiner zu gefallen? –…
– – –
wenn einer käme, dich nähmeohne ein wort, gleich welchen ortvoller vertrauten blick, ganz ohne schickden glanz deiner augen,den hauch deiner haare,die milch deiner brust,in sich und du und voll der lust:du sagtest ja und schwiegest jaim Traume, am Tage, des Wortes bar.
händel
völlig ohne kleider auf dem bette liegendhingestreckt die zwei körper haut an hautwerden sie langsamer – vorwärts-rückwärts,fließend ineinander übergehen;eine schwebende swingende massedie sich, völlig unbeschreiblich und ohne ein Wortim sagenhaften rhythmus des pfeiffentons bewegt –ganu wie von selbst, ganz ohne zutunganz ganz . . .
Der Platz am Fenster
“Margarita!” Die Stimme war voll zerbrochener Kraft. “Maragrita! Kommen Sie! Gleich ist es soweit! Ich will es nicht verpassen. Helfen sie mir!” Er wurde in seinem Stuhl ans Fenster getragen: ein mühseliges Geschäft und doppelt ärgerlich, weil er eigentlich hätte laufen können. “Hierhin, Margarita. Danke, Sie können jetzt gehen!” Er reckte den Kopf vor, um…
Würzburg
Wenn ich heute auf meinem Kassettenrekorder ältere Musik höre, muss ich an meine Studentenzeit in Würzburg damals denken, wo ich sie aufgenommen habe. Ich lebte in einem kleinen Zimmer von 10 qm, wo ich die meiste Zeit über Kafka und Broch schwitzte. In der Universität hatten wir Fußbodenbeläge aus Kunstfaser, die Strom zuweilen durch den…
Mit der Hand geschrieben
Ich komme von der Arbeit nach Haus, da tritt ein junger Mann auf mich zu. Unverschämt erkundigt er sich nach den Umständen meines Lebens, doch bald finde ich Gefallen an meinem Gerede. Wir kommen auf die Leute zu sprechen. Ich gebe ihm meine präzise Definition meiner Freunde und Bekannten. Z. B. Frau K., die jeden…
Karl Philipp Moritz
ANTON REISER Wie groß ist die Seligkeit der Einschränkung, die wir doch aus allen Kräften zu fliehen suchen! Sie ist wie ein kleines glückliches Eiland in einem stürmischen Meere; wohl dem, der in ihrem Schoße sicher schlummern kann, ihn weckt keine Gefahr, ihm drohen keine Stürme. Aber wehe dem, der von unglücklicher Neugier getrieben, sich…
A Vision of the Last Judgement
Error is Created. Truth is Eternal. Error, or Creation, will be Burned up, & then, & not till Then, Truth or Eternity will appear. It is Burnt up the Moment Men cease to behold it. I assert for My Self that I do not behold the outward Creation & that to me it is hindrance…
Wintermärchen (III, 3)
BÖHMEN, EINE WÜSTE GEGEND AM MEER (Antigonus kommt mit einem Bündel, dass ein Baby enthält, welches er aussetzen soll) ANTIGONUSKomm, armes Kind: –Ich hörte wohl, doch glaubt’ ich’s nicht, die GeisterVerstorbner gingen um: wenn’s wahr, erschien mirHeut nacht wohl deine Mutter, denn kein TraumGleicht so dem Wachen. Zu mir kommt ein Wesen,Das Haupt bald rechts,…
Nächtlicher Ausgang
Unser Dorf liegt in den Feldern, weiter draußen aber steht das Haus des Schrankenwärters. Seine Schmalheit, seine drei Stockwerke, seine Vereinzelung lassen es wie einen Turm erscheinen. In drei Tagen wird die Ernte eingebracht, jetzt hört man noch den Wind im reifen Kornfeld. Kurz bevor wir schlafen müssen, wollen wir noch den Abendzug sehen. Die…
Frank O’Connor DIE KÖNIGSKINDER
Ich habe nie begriffen, was an den Romanen von Charles Dickens übertrieben sein sollte. Bis heute kann ich die Geschichte irgendeines Straßenjungen lesen, der in Armut und Elend aufwächst und sich als verschollener Sproß einer Königsfamilie herausstellt, ohne mich im geringsten darüber zu wundern. Mir kommt das ganz natürlich vor. Als Mutters Liebling wurde mir…
Arbeitswerttheorie als Weiterung des Christentums
Die Arbeitswerttheorie behauptet, dass die Quelle des Wertes einer Ware ausschließlich rührt aus der Arbeit eines Menschen, der ihr gegenüber lebt – nicht also etwa eines Toten, der z. B. eine Maschine gebaut oder erfunden hat, oder eines Tieres, einer Naturkraft; die leisten alle keine Arbeit im Sinne der Arbeitswerttheorie. Weder Tiere noch tote Menschen,…
Das Wesen der Linken
Die linke Gesinnung besteht im Aufzeigen und Einbeziehen von Schönheitsfehlern, welche die Rechte überschminken oder wegbrennen möchte. Die faschistische Fantasie stellt sich dafür eine Radikaloperation vor durch Namhaftmachung und Ausstoßung von Verantwortlichen. Die bürgerliche Rechte begnügt sich noch mit Lenkung von dem, was ihr in die Quere kommt, durch entsprechende (Sozial-)Gesetzgebung. Die radikalen Rechten erleben,…
Wittgensteins Fluß-Metapher
„Man könnte sich vorstellen, daß gewisse Sätze von der Form der Erfahrungssätze erstarrt wären und als Leitung für die nicht erstarrten, flüssigen Erfahrungssätze funktionierten; und daß sich dieses Verhältnis mit der Zeit änderte, indem flüssige Sätze erstarrten und feste flüssig würden. // Die Mythologie [i. e. die unbezweifelten Sätze] kann wieder in Fluß geraten, das Flußbett…
Warum der Mensch sich unterwerfen muss
“Der Mensch ist ein Tier, das, wenn es unter anderen seiner Gattung lebt, einen Herrn nötig hat. Denn er mißbraucht gewiß seine Freiheit in Ansehung anderer seinesgleichen … Er bedarf also eines Herrn, der ihm den eigenen Willen breche und ihn nötige, einem allgemeingültigen Willen, dabei jeder frei sein kann, zu gehorchen” IMMANUEL KANT
Hegels Philosophie in zwei Sätzen
Es kömmt nach meiner Einsicht, welche sich durch die Darstellung des Systems selbst rechtfertigen muß, alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken. Zugleich ist zu bemerken, daß die Substantialität sosehr das Allgemeine oder die Unmittelbarkeit des Wissens als diejenige, welche Sein oder Unmittelbarkeit für das Wissen ist,…
1-Hegels Haupt-Gedanke (Begriff des Widerspruchs)
Hegels Auffassung des Widerspruchs als Wesen des Begriffes. Ein Begriff ist die Nämlichkeit von Gleichheit und Unterschied. In einer Hinsicht liegt immer auch das, was sie ausspart. Die Vorstellung des Widerspruchs, nicht der Zusammenschau oder Ganzheit erschließt Hegels Philosophie. In der Tat hat das nicht spekulative Denken sein Recht, das gültig. PHÄNOMENOLOGIE DES GEISTES 61…
2-Hegel als Psychoanalytiker (Mit den Begriffen der Psychoanalyse hätte Hegel sich verständlicher ausdrücken können.)
Die Hegels Lehre vom Sein entfaltet sich erst in der Psychoanalyse. Dort stellt der Todestrieb den Widerspruch dar. Wenn dann weiter bei löblichen Leistungen anderer, um dieselben zu verkümmern, von Heuchelei gesprochen wird, so ist dawider zu bemerken, daß der Mensch sich zwar im einzelnen verstellen und manches verbergen kann, nicht aber sein Inneres überhaupt,…
3-Hegels Vernunft (als Hochamt des Widerspruchs und Quelle der Subjektivität)
Wo die Vernunft für Kant sich in Widersprüchen verfängt, erreicht sie für Hegel ihr Ziel. Wie Subjektivität einer Weiterung der Vernunft ist. Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig heißt es in der PHILOSOPHIE DES RECHTS. Der Satz kann zu einem kolossalen Missverständnis bis hin zur Ablehnung Hegels schlechthin…
4-Hegels Ontologie (Inhaltsleere der Substanz)
Nicht nur das Denken, auch das Sein ist widersprüchlich. Alles, was es gibt, besteht zugleich in dem, was es nicht ist (die eingenommene Koordinate bedeutet alle anderen). Sein ist unwirklich, insofern jegliche Vorhandenheit vom Nichtsein abhängt. Diesen Widerspruch teilt es mit dem Denken. Die Stelle, welche Hegels gesamte Philosophie zusammenfasst, steht in der Vorrede zur…
5-Innigkeit von Liebe und Begriff (Hegels Berufung)
Liebe ähnelt der Logik (des Widerspruchs), insofern zwei Selbste (Liebende) einswerden, während sie zwei bleiben. Die Entsprechung von Liebe und (Hegelscher) Logik bahnt eine neue Philosophie an. Das Innige von Einheit und Unterschied, seine widersprüchliche Identität zeigt Hegel den Weg aus der Sackgasse Kants und Fichtes. Hegel kann als erster den Widerspruch denken, weil er…
6-Hegels Begriff der Erfahrung (Raum und Zeit als Verblendungszusammenhang)
Wenn wir etwas allein anhand seiner Koordinaten – nicht seiner Widersprüchen – feststellen, begünstigen wir Unverbundenheit und Mechanik auf Kosten von Gemeinschaft und Entwicklung. Auch abwesende Dinge formen unsere Erfahrung. Erst nehmen wir die Dinge wahr, wie sie in Raum und Zeit erscheinen, dann stellen wir Überlegungen zu ihnen an – glaubt man heut’ in…
7-Freiheit als Zweck der Geschichte (besteht darin, sich von immer weniger imponieren zu lassen)
Geschichte ist die Befreiung des Menschen von jeglicher Form der Obrigkeit durch Herausstellung ihrer inneren Widersprüche, der Grundlosigkeit und Unlogik von Machtverhältnissen. Bedroht wird die Freiheit dabei niemals durch Pflichten, sondern durch die Bewunderung und Zeitopfer für Autoritätspersonen. Sie besteht in der Weigerung, diese mit Ganzheit oder Selbstsicherheit auszustatten. Sie ist die Weigerung, irgendjemand als…
8-Freiheit ist die Fähigkeit zu verneinen
Freiheit besteht in der Fähigkeit, Gebote von Autoritäten zu verneinen. Sich selbst erreicht das Subjekt erst, wenn es nicht im Trotz verharrt. Nach Hegel heißt das erhabenste Ziel des Lebens FREIHEIT. Sie geht einher mit Vernunft, welche einsetzt durch die Überwindung des Selbstbewusstseins. Selbstbewußtsein verdankt sich zunächst der Anerkennung, zerfällt aber, indem diese prekär wird,…
Singularität kann nie besonders, nur allgemein sein
Die Singularität ist kein Paradigma, sondern Anzeichen des Widerspruchs. Je mehr wir das Allgemeine zurückweisen gegenüber dem Besonderen, desto verhafteter bleibt es diesem. Sie sind unterschiedliche Seiten derselben Medaille. Der Weg zu echter Einmaligkeit aber führt nur über das Allgemeine. Denn indem wir dieses durchdenken bis zum Ende, stoßen wir auf den Widerspruch als unhinterfragbaren…
Marx’ Abweichung ins bürgerliche Lager
Laut Marx entstammen die Veränderungen in der menschlichen Geschichte nicht dem Streben nach immer mehr Freiheit, sondern einem Kampf um Güter zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Materielle Bedingungen und nicht Ideale treiben uns zum Handeln. Hegels Philosophie liefert den Grund für ein politisches Programm der Befreiung durch den Widerspruch und nicht infolge seiner Überwindung. Die freie…
Gesellschaftlicher Fortschritt – Aufgabe der Philosophie nach Hegel
Um noch über das Belehren, wie die Welt sein soll, ein Wort zu sagen, so kommt dazu ohnehin die Philosophie immer zu spät. Als der Gedanke der Welt erscheint sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß vollendet und sich fertig gemacht hat. Dies, was der Begriff lehrt, zeigt notwendig ebenso die Geschichte,…
Unterhaltung mit Siegmar über Béla Tarr | Sátántangó
Unterhaltung mit Siegmar über Heiner Mühlmanns “Kunstkrieg”
Sigmund Freud, Zur Psychologie des Gymnasiasten
Man hat ein sonderbares Gefühl, wenn man in so vorgerückten Jahren noch einmal den Auftrag erhält, einen »deutschen Aufsatz« für das Gymnasium zu schreiben. Man gehorcht aber automatisch wie jener ausgediente Soldat, der auf das Kommando »Habt Acht!« die Hände an die Hosennaht anlegen und seine Päckchen zu Boden fallen lassen muß. Es ist merkwürdig,…
Johann Peter Hebel “Die Juden”
Der Text von Johann Peter Hebel ist ein satirischer Brief, in dem er jüdische Bräuche und deren Anpassung an die europäische Kultur beschreibt, dabei humorvoll die Unterschiede zwischen orientalischen und europäischen Lebensweisen hervorhebt und kritisch auf nordische Arbeitsmoral und Bildung eingeht.
Gegen totale Demokratie – Hegels radikales Plädoyer für den Monarchen
Dieses “Ich will” macht den großen Unterschied der alten und modernen Welt aus, schreibt Hegel in den GRUNDLINIEN DER PHILOSOPHIE DES RECHTS (449) und so muss es in dem großen Gebäude des Staates seine eigentümliche Existenz haben. Leider aber wird die Bestimmung nur als äußere und beliebige angesehen. “Ich will” steht hier für den Monarchen,…
Nur geschätzt zu werden, reicht nicht aus – wie erst Regel | Staat das Subjekt FREI machen
Indem der Geist nichts will als frei sein und keinen anderen Zweck hat als seine Freiheit, so ist der Staat nun der Spiegel, worin er seine Freiheit als ein Wirkliches, als eine Welt vor sich hat. VORLESUNGEN ÜBER DIE PHILOSOPHIE DES GEISTES 263 Wenn WIDERSPRUCH den Grund von allem aufspannt VERNUNFT ihn nicht löst, sondern…
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – Hegels “ontologische Tatsachen”
Gleichheit und Solidarität entspringen dem ontologischen Spannungsgrund des Widerspruchs. Wenn es überhaupt keine spontanes Selbst, keinen Ur-Grund gibt, Stolz zu empfinden, und alles, was uns danach ausmacht, verstrickt ist in sein Gegenteil, trifft und vereint das alle Menschen. Es ist die Isolation ohne die Basis eines verbürgten Selbsts, die der einzelne mit seinesgleichen teilt. Sie…
Allseitiger Respekt ist nicht das Ziel, sondern die Startrampe für politisches Handeln
Auf Hegels Weg zum Ziel ist die gegenseitige Anerkennung nur eine Etappe, erreicht wird die absolute Freiheit erst mit dem Staat. Indem der Geist nichts will als frei sein und keinen anderen Zweck hat als seine Freiheit, so ist der Staat nun der Spiegel, worin er seine Freiheit als ein Wirkliches, als eine Welt vor…
Nur was schwierig ist, macht uns frei – Hegels aufrührerische Spekulation zum Staat
Indem der Geist nichts will als frei sein und keinen anderen Zweck hat als seine Freiheit, so ist der Staat nun der Spiegel, worin er seine Freiheit als ein Wirkliches, als eine Welt vor sich hat. VORLESUNGEN ÜBER DIE PHILOSOPHIE DES GEISTES 263 Frei, würde man ja eher meinen, ist man dort, wo der Staat…
Der reaktionäre Respekt vor anderen Kulturen
Die tolle Hochachtung vor “Kulturen” hat etwas Touristisches und ist womöglich das eigentlich abzuschüttelnde Erbe des Kolonialismus. Oft im Gewand von Befreiungs-Anliegen, liefert sie den Vorwand für eher bedrückende gesellschaftliche Beziehungen. Ungleichheit geht zurück auf die Ablehnung von Universalität und Feier des Unterschieds. Sobald man sich abwendet vom Allgemeingültigen dem Besonderen zuliebe, verlässt man den…
Rassissmus
In seiner ÄSTHETIK (I 456-7) äußert sich Hegel über die Kunst der Ägypter: Die Aufgaben bleiben ungelöst, und die Lösung, die wir geben können, besteht deshalb auch nur darin, die Rätsel der ägyptischen Kunst und ihrer symbolischen Werke als diese von den Ägyptern selbst unentzifferte Aufgabe aufzufassen. Er macht mit anderen Worten keinen Unterschied zwischen…
9-Das Ganze (im Gegesatz zum Besonderen)
Das Ganze besteht nach Hegel nicht in festem Gehalt, sondern aus Widerspruch, ist innig zerworfen. Hegel schlägt die Vorstellung einer Ur-Geltung aus und beweist, dass so gar nicht planvoll gedacht werden kann. Absolutes Wissen besteht in dem Nachvollzug, dass Sein in sich zerworfen ist. Wodurch jede Form der Identität infrage steht, die sich nicht widerspricht….
Warum nur der Staat uns frei machen kann
Als Einrichtung, die Grenzen setzt, stellt der Staat die ultimative Freiheit sicher, findet Hegel. Man muss sehen, wie er zu diesem Schluss kommt, um nicht anders zu können, als ihm recht zu geben. Das stärkste Missverständnis, was sich der richtigen Erkenntnis sofort in den Weg schiebt, kommt vom Bild des “totalitären Staates”, der seine Kinder…
10-Emanzipation (Politik und Staat)
Die absolute Wahrheit, dass der Widerspruch Denken wie Sein gestaltet, spielt eine wesentliche Rolle im politischen Geschehen. Widerspruch blockiert die Selbstzufriedenheit einer Gesellschaft und verursacht ihren politischen Fortschritt. Wer auf Allgemeinengültigkeit hält, steht zur Fruchtbarkeit der Sperre. Die Politik neigt, den Bürgern einen künftigen Staat ohne Widersprüche zu versprechen. Aber der Widerspruch ist für Hegel…
Links <> Rechts
Die linke Gesinnung besteht im Aufzeigen und Einbeziehen von Schönheitsfehlern, welche die Rechte überschminken oder wegbrennen möchte. Die ultrarechte Fantasie stellt sich dazu eine Radikaloperation vor durch Namhaftmachung und Ausstoßung von Verantwortlichen – die bürgerliche begnügt sich mit Lenkung von in die Quere Kommendem durch entsprechende Gesetzgebung. Die Radikalen erleben, was nicht zusammengeht, unversöhnlicher: als Angehörige einer anderen Rasse oder Minderheit, der vernichtet werden muss. Die radikale Rechte sehnt…
Wesen des Christentums und seine Weiterungen
Das Christentum kann man nicht in eine Reihe mit anderen Religionen stellen, da es keine Gesetze, sondern – an deren Stelle – Liebe predigt. Dadurch wird eine neue Form des Gemeinschaftslebens erfunden. Denn in der Liebe kommt, wer ich bin, zustande erst durch eine Person, die ich nicht bin. Als Liebender bin ich innerlich entzweit,…
Deleuzes Film-Philosophie
Deleuze liefert keinen Leitfaden für spannende Geschichten, da er Konfliktscheu predigt. Die unhinterfragte Grundannahme von Deleuzes Philosophie besteht in der Vorrangigkeit des Unterschieds: die Welt begegnet uns zuerst nicht als dieser oder jener Gegenstand, sondern als Vielfalt, bewegt und vermehrt von einer lebensfreundlichen Kraft. Konflikt ist die Folge einer äußeren Störung dieses Überschwangs, nicht seiner…
Derrida als Verfechter des Glaubens
Why the controversy? Because the genius of Derrida lay in brushing against the grain. He showed the left that Enlightenment “reason” was to a great extent an historical construction, a more scrupulous account of which would have to include a lot more about faith, contingency and context. He showed the right that “tradition” was also…
Selbstverständlich kann ich jede Geschichte spannender machen – sogar ein Fußballspiel
Es gehört zu meinem Job, Geschichten, die mit vorgelegt werden, spannender zu machen. Fast immer lässt sich da mit ein paar Handgriffen viel erreichen. Gestern fragte mich jemand, ob ich es auch schaffen würde, ein Fußballspiel spannender zu machen. Aber sicher doch. Wenn sich die Bundesliga von mir beraten ließe, würde ich ihr nur eine…
Vergangenheitsbewältigung
Die Amerikaner und Engländer verstehen ihre Oligarchien als Wiege der Demokratie. Deutschland musste folglich besessen gewesen sein von etwas Vormodernem, als es mit ihnen in Krieg geriet. Bei dieser Auffassung scheint es mir bis heute geblieben zu sein, auch im Kopf der deutschen Eliten. Es gibt national nichts, auf dem man aufbauen, nur eine Vergangenheit,…
Wir müssen reden . . .
“Wenn der Dialog der letzte Ausweg ist, ist die Situation nicht mehr zu retten.” – Davila “Und wenn dich jemand eine Meile nötigt, so geh mit ihm zwei.” – Matth. 5:41
Spannung | Überraschung
Spannung wie Überraschung sind Gefühle in Anbetracht eines Wechsels, entspringen einer drohenden oder erfolgten Veränderung. Wenn etwas anders werden könnte, ist man gespannt – auf das, was eintreten möchte. Wenn etwas eintrat, ist man überrascht – durch die Ungeheuerlichkeit der neuen im Hinblick auf die vorige Lage. In beiden Fällen bewirkt die – drohende oder…
Demokratie ist keine Volksabstimmung . . .
. . . sondern eine politische Methode oder gewisse Art institutioneller Ordnung, um zu politischen, legislativen und administrativen Entscheidungen zu gelangen. Der Volks-Souveränitäts-Gedanke geht davon aus, dass der Bürger zu jeder Frage weiß, was er will, und Vertreter entsendet, um dies durchzusetzen. An erster Stelle kommt nach dieser Auffassung der “Wille des Volkes”, diesem nach-…
Aktualität im Dichten
Was der beginnende Journalist, wenn er die Feder zum erstenmal in Tinte getaucht hat, unter der Einflüsterung seiner Straßenmuse sofort zu Papier bringt, das vermag der junge Dichter nur sehr schwer auf seiner Laute zum Erklingen zu bringen: das Aktuelle. Die jungen Dichter nehmen stets eine hochgestimmte, aber nach dem Gehör der vorangegangenen Zeit gestimmte…
Buddha nach der netten Fabel . . .
. . . starrt auf seinen fetten Nabel. Beim Wandern durch Pécs erschien uns neulich die Kathedrale. Auf deren Dach: eine Reihe Heiligenfiguren, Ausschau haltend in den Abend. Dringend, nie in sich ruhend, strahlen diese christlichen Standbilder das Gegenteil der weltlosen Heiterkeit östlicher Figuren aus. Später in der Fußgängerzone bei japanischem Whiskey bildeten wir uns…
Pädophilie und Mathematik
Wenn heute ein mittelalter Dekan ein Nymphen-Foto wie Lewis Carroll von der Tochter eines Kollegen machen würde, die ihn zu Alice im Wunderland inspirierte, wäre der Mann mindestens seinen Job los. Der inzwischen tot in seiner New Yorker Gefängniszelle aufgefundene Jeffrey Epstein war – wie Carroll – Mathematiker. Dieses Talent meine ich schon öfters bei…
Negation
NEIN betrifft immer etwas. Hat es daher wie genießen oder zögern keinen eigenen, sondern verfeinert nur einen bestehenden Inhalt? Oder salzt es ihn eher ein = zombiefiziert nein einen Inhalt? Bestand darin das Essen vom Baum der Erkenntnis? Wenn z. B. ein Partner auf einmal sagt: “Ich habe nie daran gedacht, dich zu verlassen” –…
Wesen der Häresie
Eine Häresie ist immer eine Vereinfachung von etwas – im Grunde – Zweifachen, die Ausblendung des Gegenteils. Gott z. B. ist allmächtig sowie sterblich, Vater und Sohn zugleich. Der Herätiker vergöttert das eine Moment einer Polarität auf Kosten des anderen. Dem Dekonstruktivismus liegt am Aufheben der Häresie durch Herausarbeitung des Gegenteils.
Vom Gott der Christen
Den dreifaltigen Gott muss man sich vorstellen wie Eltern, die nach Hause kommen, und entdecken, dass eines ihrer Kinder die anderen umgebracht hat, aber trotzdem versuchen, diese Scharte wieder auszuwetzen. Dieses Auswetzen der Scharte beschreibt die Bibel.
Greisenalter
“Viel richtiger schätzt Plato das Greisenalter glücklich, sofern es den bis dahin uns unablässig beunruhigenden Geschlechtstrieb endlich los ist. Sogar ließe sich behaupten, daß die mannigfaltigen und endlosen Grillen, welche der Geschlechtstrieb erzeugt, und die aus ihnen entstehenden Affekte, einen beständigen, gelinden Wahnsinn im Menschen unterhalten, so lange er unter dem Einfluß jenes Triebes oder…
Vom Heiligen Geist
“Deshalb sage ich: Alle Sünden können den Menschen vergeben werden, selbst die Gotteslästerungen, die sie aussprechen. Wer aber den Heiligen Geist lästert, wird keine Vergebung finden. Wer etwas gegen den Menschensohn sagt, dem kann vergeben werden. Wer aber gegen den Heiligen Geist redet, dem wird nicht vergeben werden, weder in dieser Welt noch in der…
Ewiges Leben
6.4312 Die zeitliche Unsterblichkeit der Seele des Menschen, das heißt also ihr ewiges Fortleben nach dem Tode, ist nicht nur auf keine Weise verbürgt, sondern vor allem leistet diese Annahme gar nicht das, was man immer mit ihr erreichen wollte. Wird denn dadurch das Rätsel gelöst, daß ich ewig fortlebe? Ist denn dieses ewige Leben…
Die Lüge des Sokrates
“‘Ihr seid alle Brüder’, soll den Menschen erzählt werden, ‘den geborenen Herrschern unter euch aber ist wertvolles Gold beigemischt, den Kadern Silber, den übrigen Eisen und Erz. Meist werdet ihr euch ähnliche Kinder erzeugen, manchmal aber auch aus Gold einen silbernen Nachkommen, aus Silber einen eisernen und so fort. Immer sollen deswegen die Herrscher auf…
Gogol “Brief an die Zarin”
ACH, IHR ALTEN ZEITEN! Welch eine Freude, welch eine Lust dringt ins Herz, wenn man hört, was vor langer, langer Zeit, deren Jahr und Monat niemand angeben kann, in der Welt geschah! Wenn aber irgendein Verwandter, ein Großvater oder Urgroßvater, in die Geschichte verwickelt ist, so ist es aus: mag mir der Lobgesang auf die…
Über Gewissheit
Warum bin ich denn so sicher, daß das meine Hand ist? Beruht nicht auf dieser Art Sicherheit das ganze Sprachspiel? Oder: Ist in dem Sprachspiel diese »Sicherheit« nicht (schon) vorausgesetzt? Dadurch nämlich, daß der es nicht spielt, oder falsch spielt, der Gegenstände nicht mit Sicherheit erkennt. Wenn Einer mir sagte, er zweifle daran, ob er…
Grundlosigkeit der Skepsis
Wenn einer Zweifel in mir immer aufrufen wollte und spräche: da täuscht dich dein Gedächtnis, dort bist du betrogen worden, dort wieder hast du dich nicht gründlich genug überzeugt, etc., und ich ließe mich nicht erschüttern und bliebe bei meiner Gewißheit – dann kann das schon darum nicht falsch sein, weil es erst ein Spiel…
Paris ojaja
Oja! Auch ich war in Parih Oja! Ich sah den Luver Oja! Ich hörte an der Sehn die Wifdegohle-Rufer Oja! Ich kenn die Tüllerien Oja! Das Schöhdepohme Oja! Ich ging von Notterdam a pjeh zum Plahs Wangdohme Oja! Ich war in Sackerköhr Oja! Auf dem Mongmatter Oja! Ich traf am Mongpahnass den Dichter Schang Poll…
Wittgenstein und Deleuze
Jene Philosophen, die hiezu mir das Interessanteste mitzuteilen haben, sind – via Spinoza – Wittgenstein und Deleuze, vor allem aufgrund von drei Merkmalen, die sie teilen: 1 – Zurückweisung, was die Mittel des Denken betrifft, des Übersinnlichen oder Unanschaulichen 2 – Philosophie als Wagnis – nicht Verwaltung oder Weitergabe bekannter, sondern Herausdenken abenteuerlicher, der Überlieferung…
Spinozas Gefühle
Spinoza spekuliert, jeder von uns brauche Energie, um zu überleben, und macht das menschliche Wesen in der Kraft ausfindig, über welche es verfügt. Das ist neu und originell, man liest schnell darüber hinweg. Unser Wesen besteht m. a. W. (nach Spinoza) nicht darin, dass wir denken oder eine Seele haben, sondern dass wir geladen sind. …
Virtue and Romance: Allan Bloom on Jane Austen and Aristotelian Ethics
Bemerkenswerter Aufsatz über die Möglichkeit von Liebe & Freundschaft in den Romanen Jane Austens von Mary Beth Garbitelli, adjunct instructor of English at the University of Southern Maine. Within Allan Bloom’s last book, Love and Friendship, stands a chapter on Jane Austen’s Pride and Prejudice.1 The chapter is short—just over seventeen pages in length—but that it exists at…
Nietzsches Affinität zur Kirche
“Der protestantische Pfarrer ist Großvater der deutschen Philosophie, der Protestantismus selbst ihr peccatum originale [ihre Erbsünde]. Definition des Protestantismus: die halbseitige Lähmung des Christentums – und der Vernunft …” Der Antichrist 10 Im Streit um die Rechtfertigungslehre zwischen Luther und Papst, ergreift Nietzsche entschieden Partei für den Papst: “Vor allem und zuerst die Werke! Das heißt Übung, Übung, Übung!…
Warum wir auf die eine oder andere Art heute alle tätowiert sind
Der Mensch ist frei, kann zwar nicht immer, aber häufig tun und lassen, was er will. Wenn ich aber das eine tue, muss ich dafür das andere lassen. Mein Fähigsein, das so zum Ausdruck kommt, kann sich weder dem verdanken, was ich tue, noch dem, was ich lasse; denn beide mussten sich ja nach ihm…
Hegel über emotionale Intelligenz
Wenn sonst die leere Möglichkeit, sich etwas auf eine andere Weise vorzustellen, hinreichte, um eine Vorstellung zu widerlegen, und dieselbe bloße Möglichkeit, der allgemeine Gedanke, auch den ganzen positiven Wert des wirklichen Erkennens hatte, so sehen wir hier ebenso der allgemeinen Idee in dieser Form der Unwirklichkeit allen Wert zugeschrieben, und die Auflösung des Unterschiedenen…
Hegel: Entwicklung durch Widerspiel
Es ist übrigens nicht schwer, zu sehen, daß unsre Zeit eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist. Der Geist hat mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen und steht im Begriffe, es in die Vergangenheit hinab zu versenken, und in der Arbeit seiner Umgestaltung. Zwar ist er nie…
Hegel übers Rechtbehalten
Wenn auch jener Teil, es sei durch die Kraft der Wahrheit allein oder auch durch das Ungestüm des andern, zum Stillschweigen gebracht ist, und wenn er in Ansehung des Grunds der Sache sich überwältigt fühlte, so ist er darum in Ansehung jener Forderungen nicht befriedigt, denn sie sind gerecht, aber nicht erfüllt. Sein Stillschweigen gehört…
Selbstmord – besser als Mord?
Man steht als Mensch ohne Ausnahme vor der Frage, ob man sein Leben “autonom” im eigenen oder “heteronom” im Sinne von etwas führt, das einen bestimmt. Diese Entscheidung muss auf jeden Fall getroffen werden, und zumindest modern drängt sie in die erste Richtung: es gibt nichts Löblicheres, als Herr oder Frau im eigenen Haus zu…