Der späte Wittgenstein denkt nicht abstrakt, sondern in Bildern bzw. Metaphern.
Zum Beispiel schreibt er in Zettel 452: „Wie kommt es, dass die Philosophie ein so komplizierter Bau ist? Sie sollte doch gänzlich einfach sein, wenn sie jenes Letzte, von aller Erfahrung Unabhängige, ist, wofür du sie ausgibst. – Die Philosophie löst Knoten auf in unserem Denken: daher muss ihr Resultat einfach sein, das Philosophieren aber so kompliziert wie die Knoten, welche es auflöst.“
Was er hier sagen will, wird vermittelt durch die Metapher des „Knotens“ – im Folgenden durch jene des „Netzes“:
„Die Menschen sind im Netz der Sprache verstrickt und wissen es nicht“ (Philosophische Grammatik 462).
Ein weiteres Beispiel stammt aus den Vermischten Bemerkungen:
„Die Gefahr eines langen Vorwortes ist, dass der Geist des Buches sich in ihm zeigen muss und nicht beschrieben werde kann. Denn ist ein Buch nur für wenige geschrieben, so wird sich das eben dadurch zeigen, dass nur wenige es verstehen. Das Buch muss automatisch die Scheidung derer bewirken, die es verstehen und die es nicht verstehen. Auch das Vorwort ist eben für solche geschrieben, die das Buch verstehen.
Es hat keinen Sinn, jemandem etwas zu sagen, das er nicht versteht, auch wenn man hinzusetzt, dass er es nicht verstehen kann. (Das geschieht oft mit einem Menschen, den man liebt.)
Willst du nicht, dass gewisse Menschen in ein Zimmer gehen, so hänge ein Schloss vor, wozu sie keinen Schlüssel haben. Aber es ist sinnlos, mit ihnen darüber zu reden, außer du willst doch, dass sie das Zimmer von außen bewundern!
Anständigerweise hängt ein Schloss vor der Türe, das nur die anzieht, die es öffnen können und den anderen nicht auffällt.
Aber es ist richtig zu sagen, dass das Buch meiner Meinung nach mit der fortschreitenden europäischen und amerikanischen Zivilisation nichts zu tun hat.“
Die Aussage seiner Rede liegt hier in der Metapher des „Schlosses“ zu einem „Zimmer.“
Diese Ausdrucksweise – alltagssprachlich und in Sinnbildern – führt dazu, dass jene, die „metaphysischere“ Ausdrücke gewohnt sind, dazu neigen, Wittgenstein nicht ernst zu nehmen oder für lächerlich zu halten.
Dies geschieht vor allem aus der Sicht des stellenden Stils, eines Abkömmlings von Mathematik und Logik.
Aus dieser Warte geschriebene Philosophie versucht, möglichst inhaltsfrei zu bleiben, wie es Wittgenstein selbst in seinem Frühwerk tut, das diesen Gestus auf die Spitze treibt (womöglich sogar parodiert). Die Überzeugung besteht hier darin, dass das Grundsätzliche in der Abstraktion herauskommt, am besten anhand von Algorithmen, und nicht etwa in Gestalt von Kultur und Ritus. Wer dieser Überzeugung anhängt, beginnt den Mathematikunterricht schon bei kleinen Kindern mit der Mengenlehre, statt sie „Äpfel“ und „Schafe“ zählen zu lassen, und lehrt, dass unsere denkerischen Wurzeln am besten durch künstlich intelligente Maschinen vorgestellt werden, deren genaue Verläufe nur eine neue Priesterkaste von Fachleuten hinbekommt.
„Denn wenn wir auch in unsern Untersuchungen das Wesen der Sprache – ihre Funktion, ihren Bau – zu verstehen trachten“, charakterisiert Wittgenstein den abstrakten Ansatz, „so ist es doch nicht das, was diese Frage im Auge hat. Denn sie sieht in dem Wesen nicht etwas, was schon offen zutage liegt und was durch Ordnen übersichtlich wird. Sondern etwas, was unter der Oberfläche liegt. Etwas, was im Innern liegt, was wir sehen, wenn wir die Sache durchschauen, und was eine Analyse hervorgraben soll.“
Das rechnende, stellende Denken hat einen „Röntgenblick“, indem es versucht, den „Knochenbau“ seines Gegenstands zu erfassen und zu zerlegen (etwa die Schemata und Kategorien des Denkens sowie die Staffelung seiner Begriffe).
Wittgenstein meint dagegen, was eigentlich zähle, liege schon „offen zutage“ und würde „durch Ordnen“ übersichtlich. Die westliche Metaphysik versucht demgegenüber, „unter die Oberfläche“ zu schauen, wo sie nach den Fundamenten gewissermaßen im Keller sucht, der ausgeleuchtet werden muss. Dabei liegt, was wir wirklich brauchen – im Keller liegt schon auch etwas, nur benötigen wir es in der Regel nicht –, in unserem Blickfeld. Statt weiter Phantomen und Trugbildern hinterherzujagen, müssten wir uns nur einmal vorurteilsfrei umschauen.
Seine neue Methode beschreibt Wittgenstein im 108. Abschnitt der Philosophischen Untersuchungen wie folgt:
„Wir erkennen, dass, was wir ‚Satz‘, ‚Sprache‘, nennen, nicht die formelle Einheit ist, die ich mir vorstellte, sondern die Familie mehr oder weniger miteinander verwandter Gebilde. – Was aber wird nun aus der Logik? Ihre Strenge scheint hier aus dem Leim zu gehen. – Verschwindet sie damit aber nicht ganz? – Denn wie kann die Logik ihre Strenge verlieren? Natürlich nicht dadurch, dass man ihr etwas von ihrer Strenge abhandelt. – Das Vorurteil der Kristallreinheit kann nur so beseitigt werden, dass wir unsere ganze Betrachtung drehen. (Man könnte sagen: Die Betrachtung muss gedreht werden, aber um unser eigentliches Bedürfnis als Angelpunkt.)
Die Philosophie der Logik redet in keinem andern Sinn von Sätzen und Wörtern, als wir es im gewöhnlichen Leben tun, wenn wir etwa sagen ‚hier steht ein chinesischer Satz aufgeschrieben‘, oder ‚nein, das sieht nur aus wie Schriftzeichen, ist aber ein Ornament‘ etc.
Wir reden von dem räumlichen und zeitlichen Phänomen der Sprache; nicht von einem unräumlichen und unzeitlichen Unding. [Randbemerkung. Nur kann man sich in verschiedener Weise für ein Phänomen interessieren.]“
Der entscheidende Sinn liegt hier in „unser eigentliches Bedürfnis“; wenn uns philosophische Probleme plagen, werden wir nicht befriedigt durch weitere Berechnungen, sondern nur durch „vollständige Klarheit“, die sich einstellt, wenn wir das besinnliche Verhältnis von Worten in den Blick nehmen.
„Richtig war, dass unsere Betrachtungen nicht wissenschaftliche Betrachtungen sein durften […]. Und wir dürfen keinerlei Theorie aufstellen. Es darf nichts Hypothetisches in unsern Betrachtungen sein. Alle Erklärung muss fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten. Und diese Beschreibung empfängt ihr Licht, d. i. ihren Zweck, von den philosophischen Problemen.“
Was unser Bedürfnis angesichts eines philosophischen Problems befriedigt, ist dessen Auflösung ins Selbstverständliche normal menschlicher Intelligenz, sodass wir danach mit keinem Verwirrungsersatz zurückbleiben. Das übersichtlicher Machen „durch Ordnen“ heißt, beispielsweise zu sagen: „Jene Benennung, Vorstellung, Wortverwendung gehört in der Normalsprache zu dieser hier und nicht, wie du ursprünglich dachtest, zu der dort.“ „Schmerz“ ist zum Beispiel nicht wie „Stuhl“ der Name für einen Gegenstand, den er bezeichnet, sondern ersetzt den Ausruf „Aua“. Oder stellt euch „Gewissheit“ nicht als höheren Grad des Wissens oder Glaubens vor, sondern als Vertrauen in die Zuverlässigkeit von Gepflogenheiten. Stellt euch Rituale nicht als erfolglose Versuche vor, die Natur zu kontrollieren, sondern wie Tänze als menschliche Gesten oder körperliche Antworten auf bedeutende Angelegenheiten oder Erscheinungen.
Wittgenstein verwirft die Vorstellung der Notwendigkeit von Grundlagen und erinnert uns daran, dass wir uns allzeit in einem „zünftigen“ Zusammenhang bewegen, dem alle Bedeutung entspringt, auch jene, die in Verallgemeinerungen liegen mag, welche seine Erweiterungen sind, ihm jedoch nichts Fundamentales bringen.
Die Therapie, um unser Verständnis der Quelle aller Bedeutung dort, wo es leidet, zu heilen, besteht daher nicht in der Konsultierung ihrer abstrakten Auswüchse, sondern in der begrifflichen Aufhellung durch das Mittel des Sinnbilds.
Die Metapher ist deswegen besonders geeignet, weil sie auf der Bedeutungsebene ansetzt. Die Verbindungen, welche sie stiftet, stellen frische Wahrheiten heraus. Die Grammatik wird dadurch freilich nicht entlang irgendeines Standards ausgerichtet, sonst würde sich die Metaphysik ja wieder einschleichen. Vielmehr wird dem gesunden Menschenverstand im Namen der Grammatik – durch neu erscheinende Verbindungen – gestattet, wieder ins Licht zu treten.
Wittgenstein ruft uns ins Gedächtnis, dass planerischen Fähigkeiten, die sich dazu eignen, die Natur zu überwältigen, nicht erlaubt werden sollte, das wesentlich menschliche und weder serielle noch anwendungsbezogene, noch weltanschauliche Tun zu ersetzen, noch den ihnen zugrundeliegenden gesunden Menschenverstand, welchen die Grammatik unserer normalen Sprache verkörpert.