Friedrich Wilhelm von Humboldt (1767–1835) war ein preußischer Gelehrter, Schriftsteller und Staatsmann, der als Bildungsreformer das humboldtsche Bildungsideal prägte, die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin gründete und durch seine kulturellen, sprachwissenschaftlichen und politischen Beiträge nachhaltig die deutsche Kulturgeschichte beeinflusste. Aber er hatte auch einen perversen Zug, wie folgender Eintrag in sein Tagebuch verrät:
Zwischen Duisburg und Krefeld geht man mit einer Fähre über den Rhein. Auf der Fähre arbeitete ein Mädchen mit, äußerst hässlich, aber stark, männlich, arbeitsam. Es ist unbegreiflich, wie anziehend für mich solch ein Anblick ist, und jeder Anblick angestrengter Körperkraft bei Weibern – vorzüglich solchen niedrigeren Standes – ist. Es wird mir beinahe unmöglich, meine Augen abzuwenden, und nichts reizt so stark jede wollüstige Begierde in mir. Dies rührt noch aus den Jahren meiner ersten Kindheit her.
Wie sich zuerst meine Seele mit Weibern beschäftigte, dachte sie sich immer Sklavinnen, durch allerlei Arbeit gedrückt, tausend Martern gepeinigt, auf die verächtlichste Weise behandelt. Noch jetzt habe ich Sinn für solche Ideen. Noch jetzt kann ich wie ehemals mir Romane denken, die diesen Inhalts sind. Nur mehr Geschmack, weniger Unwahrscheinlichkeit ist nach und nach in diese Romane gekommen, und immer ist es mir psychologisch merkwürdig, sie chronologisch nacheinander durchzugehen.
Wie zuerst diese Richtung in mir entstand, bleibt mir immer ein Rätsel: auf der einen Seite diese Härte, auf der anderen diese Wollust. Aber das ist gewiss, dass sie, nur verbunden mit den Lagen, in die ich kam, meinen ganzen jetzigen Charakter gebildet hat.
Humboldt heiratete eine der attraktivsten und gebildetsten Frauen seiner Zeit, Caroline von Dacheröden. Deren Briefe an ihn, vor allem während der Monate, als er Mitglied der preußischen Delegation beim Wiener Kongress war, verraten einen lebhaften Sinn für auswärtige Angelegenheiten und das Talent für politische Analysen. Humboldt hatte hohe Achtung vor ihr, und es gibt Anzeichen dafür, dass er sich ein wenig vor ihr fürchtete. Legte er auch sich selbst im außerehelichen Verhalten keine sexuellen Hemmungen auf, so ist es doch unwahrscheinlich, dass seine Ehe durch eine Art von intimer Hingabe charakterisiert war, wie sie in Lucinde empfohlen wurde, oder in seinen privaten Fantasien vorkam. Noch unwahrscheinlicher ist, dass er dies gewünscht hätte.
Er hätte wahrscheinlich die Vorstellung zurückgewiesen, er glaube an Hieronymus’ Ausspruch, dass „wer seine Frau zu leidenschaftlich liebt, die Ehe zerstört“, aber er mag sehr wohl gedacht haben. Er wünschte nicht, dass seine Frau sexuell zu emanzipiert war, und er scheint sogar bedauert zu haben, dass sie geistig emanzipiert war. Ja, in seinen letzten Lebensjahren stand er in einem langen Briefwechsel mit einer Frau namens Charlotte Diede, der er nie erlaubte, ihn zu besuchen, und deren Reiz für ihn in der völligen Unterwerfung unter seinen Willen lag, wie sich dies in den moralischen Belehrungen und Anweisungen zur Selbstvervollkommnung ausdrückte, von denen es in seinen Briefen wimmelte. Charlotte war in gewissem Sinne die Ehefrau, die Caroline nicht sein wollte.
nach Gordon C. Craig Über die Deutschen München 1982 – S. 173