Charakterensemble
Bevor Drehbuchautor*innen die individuellen Charaktere seines Films entwerfen, erleben sie in ihrer Vorstellung – bewusst oder intuitiv – eine Auferstehung der gesamten Gruppe von Figuren, die den zentralen Konflikt ausfechten. Selbst das brillanteste Talent schafft seine Drehbücher nicht aus dem Nichts. Echte Autor*innen wissen, dass der Kern ihrer Werke entweder ein Stück aus dem realen Leben oder eine Fantasie sind. Die Charaktergruppe, die den zentralen Konflikt eines Drehbuchs ausfechten soll, ist anfangs oft ein Durcheinander, das hauptsächlich durch den Kampf um Existenz und Macht verbunden ist. Es ist die Aufgabe der Drehbuchautor*innen, diese Charaktere zu ordnen. Dies geschieht durch das Entfernen unnötiger Figuren und das Hinzufügen neuer, die den Konflikt steigern und verzweigen.
Jeder äußere Konflikt in einem Film wird zwischen mindestens zwei Gruppen oder Parteien ausgetragen. Jede Figur muss, zumindest unbewusst, zur Lösung des zentralen Konflikts beitragen. Solche Charaktere, die nur für den Hintergrund oder das „Milieu“ existieren, sind nicht effektiv.
Die Anordnung der Parteien ist entscheidend, um das zentrale Thema oder Problem hervorzuheben. Um zum Beispiel, um zu zeigen, dass eine Gruppe die obere Klasse und die andere die ihr unterlegene repräsentiert, müssen repräsentative Charaktere für beide Gruppen in dem Film auftreten. Und sie müssen nicht nur präsent sein; sie müssen aktiv am Konflikt teilnehmen.
In jedem Konflikt, an dem mehrere Parteien beteiligt sind, stechen einzelne Charaktere, meistens die stärksten, als Hauptdarsteller hervor, während die anderen als Nebendarsteller fungieren. Besonders in Unterhaltungsfilmen lassen Autoren gerne sympathische Frauen gegen fragwürdige Männer antreten. Aber das Wichtigste ist, dass die Hauptcharaktere auf beiden Seiten des Kampfes tiefgründige innere Konflikte durchleben.
Standard-Charaktere
Um den Reichtum des Kinos an Schauspielern bestmöglich nutzen zu können, muss der Drehbuchautor eventuell ein ungefähres Bild der typischen Besetzung im Kopf haben. Ein Schauspielensemble wird überall und zu jeder Zeit im Grunde gleich zusammengesetzt sein. Dieses typische Ensemble ist nicht einfach eine sinnlose Tradition, sondern spiegelt die unendlich vielfältige Menschheit in ihren ewigen Haupttypen wider: Mann und Frau, alt und jung, edel und einfach, zivil und kühn, ernst und fröhlich, gut und böse, bewundernswert und fragwürdig – der Patriarch, der alter Schlawiner, der Kauz, der Held, der Galan, der Filou, der Playboy, der Naturbursche, die Matrone, die alte Gaunerin, die Käuzin, die Heldin, die Diva, die Lebensfrohe, das leichte Mädchen und die Jungfrau.
Hinzu kommt eine Reihe von männlichen und weiblichen Spezialschauspielern: Einige charismatische und doppelt so viele Darsteller fragwürdiger Charaktere, einige kräftigere und einige schlankere Darstellerinnen, von denen einige in Massenszenen, andere in gehobene Settings, manche in düstere Keller oder sonnigen Dachgeschossen passe, kurvige Kellnerinnen und ähnliches.
Vor dieser gegebenen Schauspielcrew steht der Drehbuchautor für einen Unterhaltungsfilm wie ein Bildhauer vor seinem wertvollen Marmorblock. Nur ein Amateur würde sich darüber beschweren, an die Größe und Form des rohen Blocks gebunden zu sein. In diesem Block steckt die ganze Vielfalt und das pulsierende Leben der Welt.