Hat mit seinem Menschenbild zu tun, zusammengefasst im Dogma der Erbsünde. Die Vorstellung dahinter: dass der Mensch ein Mängelwesen ist, eine Art Krüppel, angewiesen auf Prothesen. Die schlimmste Sünde ist folglich der “Hochmut”, also Auffassung, man sei nicht verkrüppelt. Denn erst dieses Eingeständnis macht die Beschaffung und Optimierung von Prothesen möglich, die allerdings niemals die Glieder ersetzen können, welche man – paradoxerweise – ohne sie nicht hätte. Die Verkrüppelung ist auch innerlich zu verstehen. Er vermöge sich kein Verbrechen vorzustellen, das er nicht hätte begehren können, soll Goethe zu Eckermann gesagt haben. Das ist eine urchristliche Vorstellung. Wir sind alle Verbrecher und müssen unsere Neigung, die Welt zu zerreißen, zügeln, verwinden können wir sie nie. Diese Vorstellung wurde später von der Psychoanalyse aufgegriffen und erweitert um die Theorie der Projektion: wer das Verbrechen in sich leugnet, verlagert es in andere und fühlt sich andauernd von diesen bedroht. Ein Teufelskreis aus dem nur das Eingeständnis sowie die Kontrolle der eigenen verbrecherischen Neigungen führt. Man wird sozusagen frei dadurch, dass man sich zum Verbrechen bekennt – und dieses beherrscht. Großartig dargestellt in den Texten der Puritaner, etwa Miltons Paradise Lost oder der Kurzgeschichte Young Goodman Brown von Nathaniel Hawthorne. Diese christlich-psychoanalytische Auffassung wird bestritten unter anderem vom Islam, aber vor allem auch der die französische Revolution vorbereitenden Philosophie Rousseaus, die den Menschen für ursprünglich gut und frei von Sünden, für gar nicht verkrüppelt hält. Wer die Welt durch diese Linse betrachtet, stellt sich vor, dass das Übel, was er erblickt, nicht etwa seiner eigenen – projizierten – Boshaftigkeit entspringt, sondern etwas schief Gelaufenem, das sich mit gutem Willen berichtigen lässt. Diese Einstellung entspricht dem heutigen Hauptstrom, quer zur finsteren Vision des Christentums, das ihn bedroht und deswegen verhasst ist.
Warum das Christentum auch verhasst ist
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