Spannung wie Überraschung sind Gefühle in Anbetracht eines Wechsels, entspringen einer drohenden oder erfolgten Veränderung.
Wenn etwas anders werden könnte, ist man gespannt – auf das, was eintreten möchte.
Wenn etwas eintrat, ist man überrascht – durch die Ungeheuerlichkeit der neuen im Hinblick auf die vorige Lage.
In beiden Fällen bewirkt die – drohende oder erfolgte – Auswechslung einer Lage das Gefühl. Weil etwas nicht mehr so bleibt (Spannung) oder ist (Überraschung) wie es ist (Spannung) oder war (Überraschung).
Gespannt – erwartet man die bevorstehende Klärung einer Ungewissheit.
Überrascht – erlebt man die Bedeutung einer neuen Lage.
Pro Geschichte gibt es einen bestimmten Sachverhalt sowie eine bestimmte Anzahl von Ereignissen. Der Erzählplan besteht darin, mit jedem Ereignis einen Teil des Sachverhaltes herauszustellen, der dem Publikum bisher unbekannt war. Dieses empfängt die Signale und baut sie ins Gebäude seiner Überzeugungen. Je mehr deren Erwartungen in Frage gestellt werden – durch die Ankündigung einer abweichenden Zukunft – desto spannender wirkt ein Ereignis. Je mehr es durch sein Eintreten die Überzeugung selbst verändert, desto überraschender wirkt es.
Da Spannung mehr ahnen oder durchblicken lässt von jenem, mit dem Überraschung einen in Erstaunen versetzt, wächst die Stärke der einen mit der Schwäche der anderen. Spannung macht die Meinung des Zuschauers schwankend und weniger überrascht dann, als wenn sie fester – dadurch aber auch gleichgültiger – geblieben wäre. Je mehr ein Erzählplan auf Überraschungen baut, desto schwerer wird es ihm, sein Publikum zu fesseln.
Spannung wächst in dem Maß, in dem etwas Entscheidendes heraufzieht. Ihr Treibsatz ist der baldige Wandel einer Überzeugung.
Der Spoiler verdirbt das Spiel von Spannung und Überraschung, indem er den Sachverhalt ganz und gar auf einmal vorstellt.
Der maximale Überraschungs-Plan, macht es wahrscheinlich, dass der gesamte Sachverhalt vorzeitig enthüllt ist – um dadurch Gelegenheit zu erhalten, die neue Überzeugung noch einmal einzuschläfern und so eine Bühne vorzubereiten für die ultimative Überraschung.
Der maximale Spannungs-Plan baut herrschende Unsicherheit zusehends ab in Richtung einer dramatischen Entscheidung. Spannung zieht sich so durch die gesamte Handlung, macht sie zweideutig. Überraschung dagegen ist nie zweideutig. Sie stellt den Sachverhalt ganz heraus mit dem letzten Ereignis einer Handlung.
In einem dramatischen Konflikt oder Kampf ist das Herz der Zuschauer immer auf Seiten der unterlegenen Partei – weil deren Sieg überraschender, daher gefühlsversprechender wäre.
Es geht bei Spannung wie Überraschung darum, die Überzeugung des Zuschauers umzugestalten. Je öfter so eine Veränderung stattfindet, desto schwächer wird der Eindruck, den sie macht. Der kluge Erzählplan bewirtschaftet seine Zuschauerbekehrung wie ein knappe Ressource. In der Regel vertragen Geschichten nicht mehr als drei Wendepunkte.
Der spannende Erzählplan zersetzt eine Überzeugung durch Einspielen sie in Frage stellender Wahrscheinlichkeiten. Spannung erodiert herrschende Auffassungen, indem ein beunruhigendes Aufkreuzen sich anbahnt. Ein Verlauf wird spannend, wenn meine Vorstellung im Hinblick auf seine nächste Entwicklung schwankend ist: wenn ich nicht mehr sagen kann, was in 5 Minuten sein wird. Je größer dann die mögliche Änderung meiner Überzeugung, desto größer die Spannung. Sie besteht in der Ahnung oder Befürchtung, dass meine Überzeugung eine ganz andere werden könnte.
Überraschung meint dagegen die Betroffenheit nach dem Eintritt eines Ereignisses – umso erregender, je mehr meine Überzeugung sich dadurch verändert hat.
Steigerung der Spannung – dadurch, dass nicht in ungewisser oder einer bestimmten Zukunft, sondern jeden Augenblick etwas Entscheidendes passieren kann.
Beispiel: Protagonist erwartet, seine Schulden mit einer Erbschaft zu bezahlen. Spannend würde die Lage durch die Möglichkeit, er könnte enterbt worden sein. Dies stellt sich heraus bei der Verlesung des Testamentes in 5 Tagen. Spannender würde die Geschichte dadurch, dass die Nachricht von der Enterbung jeden Moment hereinplatzen kann. Es gibt z. B. eine Party, welche der Protagonist aufsucht. Weil dort eine Stiefschwester sein könnte, die alles statt seiner geerbt hat. Er weiß aber nicht, wie sie aussieht, redet mit verschiedenen Frauen. Jeden Moment kann die entscheidende Wahrheit herauskommen.
Noch ein Beispiel: Veränderung der Fußball-Regeln – gewonnen hat immer, wer das letzte Tor schoss. Dadurch kann nun jeden Augenblick etwas Spielentscheidendes passieren, noch kurz vor Ende. Das Spiel würde spannender.
Noch ein Beispiel: Ein Thriller beginnt mir der Ermordung einer Person – spannender ist, wenn sie statt dessen verschwindet. Weil nun jeden Moment herauskommen kann, dass sie tot ist. Indem eine bestimmte Wahrscheinlichkeit besteht, wird dies umso spannender empfunden, je unvorhersehbarer sich ihre Wahrheit herausstellen könnte. Jemand hat einen Liebesbrief erhalten. Die Person, die ihn schrieb, befindet sich mit anderen in einem Raum. Man weiß nicht, welche es ist.
Spannung legt zu mit der Größe des Unterschieds möglicherweise eintretender Ereignisse – Überraschung mit der Größe des Unterschieds zwischen aufeinander folgenden Lagen.