Joyce „war unermüdlich bestrebt, sein Leben durch Zauber zu feiern; sein Aberglaube war der Versuch, naturalistischen Details sakramentale Bedeutung unterzuschieben. So sollten auch seine Bücher nicht rein als Bücher aufgefasst werden, sondern als prophetische Akte … Für Joyce stand das Leben unter Zauberkräften; die Natur war unerschütterlich und magisch zugleich, ihr alltäglichen Details von Wundern getränkt, ihre wunderbaren Erscheinungsformen vom Alltäglichen durchdrungen. Joyces Romanmethode setzte nicht voraus, dass der Künstler übernatürliche Kräfte besitzt, sondern nur, dass er Einblick in die Methoden und Motivationen des Universums hat. Samuel Beckett hat gesagt, dass die Realität für Joyce ein Paradigma war, die Illustration einer möglicherweise nicht fixierbaren Regel. Doch kann vielleicht die Regel geahnt werden. Sie ist nicht Wahrnehmung der Ordnung oder der Liebe – demütiger als die beiden ist sie Wahrnehmung der Koinzidenz. Nach dieser Regel kann die Realität, ganz gleich wie wir sie uns zurechtzumachen suchen, nur gewisse Formen annehmen; das Rouletterad bleibt immer wieder auf den gleichen Zahlen stehen; jeder und alles dreht sich in kontinuierlicher Bewegung, doch es ist eine in ihren Möglichkeiten begrenzte Bewegung. Joyce war an Veränderung und Gleichheit in der Zeit interessiert; Bloom tröstete sich mit dem Gedanken, dass jeder Verrat nur einer aus einer unendlichen Reihe ist; wenn jemand bei Joyce eine neue Grausamkeit erwähnte, wies er sofort auf eine ebenso schreckliche frühere Grausamkeit hin, wie etwa eine Tat der Inquisition in Holland … Dass das Bild von Cork in seiner Pariser Wohnung einen Korkrahmen haben musste, wie er Frank O’Connor gegenüber hervorhob, war ein überlegtes, wenn auch halb spaßhaftes Anzeichen dieser Vorstellung von der Welt, in der unerwartete Übereinstimmungen die Regel sind. Die Gestalten durchschritten Situationen und Gedankenfolgen, die durch Koinzidenz mit den Situationen und Gedanken mit den Situationen oder Gedanken anderer lebender oder toter, fiktiver oder mythischer Menschen verbunden sind … In allen seinen Büchern … suchte Joyce die Koinzidenz von Gegenwart und Vergangenheit zu enthüllen … [Er deutete an], dass es keine Gegenwart und keine Vergangenheit und keine Daten gibt, dass die Zeit – und die Sprache, die den Ausdruck der Zeit darstellt – eine Reihe von Koinzidenzen ist, die der ganzen Menschheit gemein ist. Wörter schieben sich in Wörter, Menschen in Menschen, Vorfälle in Vorfälle, wie die Doppeldeutigkeiten eines Wortspiels oder eines Traums. Wir schreiten durch die Dunkelheit auf vertrauten Straßen.“ R. Ellmann James Joyce Frankfurt 1979 S. 829-31
Joyce fühlte sich besonders hingezogen zu Giambattista Vicos Verwendung von Etymologie und Mythologie zu Aufdeckung von Bedeutung von Ereignissen, als ob Ereignisse die am direktesten an der Oberfläche liegenden Manifestationen zugrunde liegender Energien seien. Auch bewunderte er Vicos positive Einteilung der Menschheitsgeschichte in wiederkehrende Zyklen, von denen ein jeder durch einen Donnerschlag freigesetzt wird. Sie interessierten ihn nicht als chronologische, sondern psychologische Einteilungen als Ingredienzien, die sich immer wieder verbinden und neu verbinden auf Arten, die allzeit déjà vus zu sein scheinen. „Ich benutze seine Zyklen als Spalier“, sagt er. „Ich würde diesen Theorien nicht allzu viel Aufmerksamkeit schenken, außer das benutzen, was sie hergeben, aber sie haben sich mir durch Umstände meines eigenen Lebens allmählich aufgezwungen. Ich frage mich, woher Vico seine Angst vor Gewittern hat. Bei den Italienern, die ich kennengelernt habe, gibt es sie fast gar nicht.“ Und: „Ich hätte diese Geschichte leicht auf traditionelle Weise schreiben können. Jeder Romancier kennt das Rezept. Es ist nicht schwierig, einem einfachen chronologischen Schema zu folgen, das die Kritiker verstehen. Aber schließlich versuche ich, die Geschichte dieser … Familie auf eine neue Art zu erzählen. Die Zeit und der Fluss und der Berg sind die wirklichen Helden meines Buches. Doch die Elemente sind dieselben, die jeder Romancier benutzen kann: Mann und Frau, Geburt, Kindheit, Nacht, Schlaf, Ehe, Gebet, Tod. Es ist nichts Paradoxes daran. Ich versuche nur, viele Erzählebenen aus einer einzigen ästhetischen Absicht heraus aufzubauen. Haben Sie Laurence Sterne je gelesen?“ Ellmann, S. 834
Historischen Ereignisse vermitteln nach Vico etwas Überwirkliches. Der Menschheitspfad verläuft in Zyklen, die jeweils mit einem mächtigen Donnerschlag beginnen. Dieses Weltbild hat Joyce so stark beeinflusst, dass er sich fragte, ob seine Angst vor Donner hier ihren Ursprung hatte. Seine Romane setzen nicht auf einen persönlichen Handlungsfaden, sondern erlauben einen vielschichtigen oder thematischen Blick auf das Geschehen, indem „Zeit“, „Fluss“ und „Berg“ zu eigenen Protagonisten aufsteigen. Dennoch kreisen all seine Bücher um die immergleichen Lebensthemen: Mann und Frau, Geburt und Tod, Kindheit und Glaube, Nacht und Schlaf. Mit demselben schöpferischen Elan werden zahlreiche Erzählebenen miteinander verwoben von Laurence Sterne im Tristram Shandy.