Schiller – Brief an Goethe

Jena, 7. September 1794

Mit Freuden nehme ich Ihre gütige Einladung nach W. an, doch mit der ernstlichen Bitte, daß Sie in keinem einzigen Stück Ihrer häuslichen Ordnung auf mich rechnen mögen, denn leider nöthigen mich meine Krämpfe gewöhnlich, den ganzen Morgen dem Schlaf zu widmen, weil sie mir des Nachts keine Ruhe lassen, und überhaupt wird es mir nie so gut, auch den Tag über auf eine bestimmte Stunde sicher zählen zu dürfen. Sie werden mir also erlauben, mich in Ihrem Hause als einen völlig Fremden zu betrachten, auf den nicht geachtet wird, und dadurch, daß ich mich ganz isolire, der Verlegenheit zu entgehen, jemand anders von meinem Befinden abhängen zu lassen. Die Ordnung, die jedem andern Menschen wohl macht, ist mein gefährlichster Feind, denn ich darf nur in einer bestimmten Zeit etwas Bestimmtes vornehmen müssen, so bin ich sicher, daß es mir nicht möglich seyn wird. Entschuldigen Sie diese Präliminarien, die ich nothwendigerweise vorhergehen lassen mußte, um meine Existenz bei Ihnen auch nur möglich zu machen. Ich bitte bloß um die leidige Freiheit, bei Ihnen krank seyn zu dürfen…