Was James Joyce so einmalig macht

Cuzzis Schwester Emma und zwei Freundinnen wurden ebenfalls Joyces Schülerinnen. Ihre Stunden wurden in Cuzzis Haus abgehalten. Die drei vierzehnjährigen Mädchen schwärmten für ihren Lehrer, der gewöhnlich in seiner Jagdweste erschien, die ihm sein Vater im Jahr 1912 geschenkt hatte. Beinahe alles konnte als Text für diese Mädchenstunden dienen: ein Lied von Shakespeare oder, wie ein Schicksalslos, das Joyce einem Bettler abgekauft hatte. Es war für eine Frau bestimmt und sagte voraus, die Empfängerin würde den Verlust eines teuren Gegenstandes zu beklagen haben, ihn aber wieder erhalten. Der Lehrer war gutgläubig, die Schüler skeptisch. Als Emma am Ende der Stunde Joyce zur Türe begleitete, fragte er sie plötzlich, ob sie nicht doch etwas ihr Wertvolles verloren habe. Dann, um die Wahrheit der Voraussage zu beweisen, zog er aus seiner Rocktasche ein gläsernes Buch zum Eintragen von Verabredungen, das er schon oft auf ihrem Pult ironisch angeblickt hatte. “Das wird dich lehren, dich nicht über den Aberglauben lustig zu machen”, sagte er. 

Unter den abergläubischen Gegenständen war ihm einer der liebsten ein Ring, der aus verschiedenen Metallen zusammengesetzt war und den er gegen Erblindung am Finger trug. Er glich einem Ehering, obschon Joyce eine Abneigung gegen Eheringe, als Symbole der Sklaverei, hatte, der sich kein freier Mensch unterwirft. “Warum wollen Sie dann diesen Ring tragen?” fragten seine Schüler. “Weil ich bereits der Sklave meines Augenleidens bin”, versetzte Joyce.

Der Eingebung des Augenblick folgend, erfand er Geschichten, um anscheinend einen grammatikalischen Punkt zu erläutern. Eines Tages betonte Emma “generally” auf der falschen Silbe, und  Joyce sagte ihr, sie dürfe das Wort nicht wie den Namen des berühmten chinesischen Generals Li aussprechen. Dann umriss er ihr kurz die Laufbahn dieses Generals, die damit endete, dass er an einem Baum aufgeknüpft wurde, eine Szene, die Joyce mit einer Zeichnung in Emmas Notizbuch illustrierte. Während einer anderen Stunde anerbot sich, von jeder Schülerin ein Wortbild zu zeichnen. Die eine beschrieb er blumenreich als einen verzauberten Garten voller Blumen und seltener bunter Vögel, wenn man sich aber seiner Schönheit nähere, um sie besser bewundern zu können, sehe man plötzlich, dass es nur ein Kohlenhaufe sei! Die zweite, sagte er, gleiche einer großen breiten Straße, doch Vorsicht! Es liege etwas darauf, das einen leicht ausgleiten lasse! Was Emma betraf, so war sie ein sauberes, schön geordnetes Bild, auf dem alle Gegenstände gefügig an ihrem Platz standen und ein jeder ein langweiliges Etikett trug. Diese spitze Neckerei endete oft damit, dass er sich ans Klavier setzte und “Mr. Dooley” sang, während sie den Refrain mitsangen. Oder sie machten einen Wettkampf, wer am besten den Schwung der Primaballerina in Covent Garden nachmachen konnte, und Joyce mit seinem dünnen, lockeren Gliederbau gewann dabei immer.

Joyce Geringschätzung der Disziplin trug ihm die Zuneigung der Mädchen ein, und sie erzählten ihm oft Geheimnisse, die sie vor ihren Eltern verschwiegen. Emma vertraute ihm eines Tages an, da es ihr verboten sei, Zigaretten zu kaufen, habe sie Rosenblätter aus dem Garten zu trocknen versucht und sie zu Zigaretten gerollt, die sie im Geheimen rauche. Joyce, der befürchtete, der Tabak könnte auch eine Ursache seines Augenleidens sein, bat sie, eine Zigarette versuchen zu dürfen. Nach ein paar Zügen begann er als Kompliment zu bemerken, die Zigarette dufte stark nach einem Bauerngut, denn er könne in ihr das Aroma von Heu, Tieren des Hofes, von Blumen und – Mist unterscheiden.

Die Stunden endeten auf damit, dass Joyce auf dem Geländer hinunterrutschte, seine Schülerinnen hinter ihm drein. Doch eines Tages sah Signora Cuzzi zufällig diese Übung und die Englischstunden nahmen ein jähes Ende.