Nach dem Untergang des Osmanischen Reiches könnte sich mit China erstmals wieder eine Weltmacht mit einem nicht westlichen kulturellen Erbe zu Wort melden.
Es ist ja das uns fremde Gedanken- und Wertesystem des Konfuzianismus, das Leibniz in seiner Novissima Sinica in Relation setzte zu einem europäischen Gedanken- und Wertesystem, das er für dringend reformbedürftig hielt – im Sinn des jetzt von China wieder propagierten Konzeptes einer „harmonischen Gesellschaft“.
Leibniz’ China-Kenntnisse stützten sich auf Berichte westlicher Missionare, die am chinesischen Hof höchstes Ansehen genossen, und veranlassten ihn zu der Forderung, dass China sogar seinerseits Missionare in den Westen entsenden sollte „zur richtigen Anwendung und Praxis des Verhaltens der Menschen untereinander“.
Deshalb entwirft Leibniz gleich auch noch in seiner Novissima Sinica für Chinesisch als Weltsprache kurzerhand selbst einen „Clavis Sinica“: Schlüssel zum erleichterten Erlernen und Beherrschen der chinesischen Schrift in Europa.
Es liest sich wie ein Musterbeispiel vorauseilender Vernunft, wenn man diese Leibniz’sche Hochachtung gegenüber der chinesischen Sprache und ihrer Globalisierungstauglichkeit im Lichte der neuesten Ergebnisse der Hirnforschung über das Erlernen der chinesischen Sprache betrachtet. Erkennbar werden vor allem die eindeutig größeren Möglichkeiten für die Ausbildung neuronaler Fähigkeiten beim Erlernen der chinesischen Symbolsprache im Vergleich zu neuronalen Anforderungen beim Erlernen alphabetischer Sprachen. Diese größeren Möglichkeiten resultieren im Chinesischen vor allem aus der Notwendigkeit des korrekten Schreibens, des hochentwickelten Lautbewusstseins (für die unterschiedlichen Tonhöhen) und der Fähigkeit der schnellen Worterkennung für die Lesekompetenz. Hinzu kommt, dass die Lesekompetenz verbunden ist mit einem stark ausgeprägten anschaulichen Gedächtnis für die chinesischen Schriftzeichen (Ideogramme).
Mit der Folge, dass sich mit dem notwendigen sehr frühen Beginn des Erlernens der chinesischen Sprache auch eine frühkindliche Motivations- und Leistungsbereitschaft entwickelt. Ein lebenslanger geistiger Fitnessvorteil, der in China nachhaltig gefördert wird durch den selbstverständlichen hohen Stellenwert der Bildung und die damit verbundene ständige Lernbereitschaft im Sinne des konfuzianischen Wertesystems.
Eine Wertschätzung, die sich in China ablesen lässt am ständig wachsenden Anteil des Bruttosozialproduktes für Bildung, Wissenschaft und Grundlagenforschung. Eine gezielte Investition also in jenen Know-how-Bereich, der sich neben den Faktoren Kapital und (billige) Arbeitskräfte immer mehr als entscheidender Erfolgsfaktor erweist für den globalen Wettbewerb und das Generieren intelligenter neuer Berufe und Produkte.
Umgekehrt sind die Folgen der Geringschätzung eines konsequenten Erwerbs hoher Sprach- und Lesekompetenz (reichlich zu besichtigen hier in Facebook) evident in einer Gesellschaft mit jahrzehntelanger Leistungsverweigerung. Diese Geringschätzung des hohen (konfuzianischen) Stellenwertes der Bildung lässt sich inzwischen ablesen an der OECD-Statistik, wo Deutschland mit achtzehn Prozent gering qualifizierter Beschäftigter (die Speerspitze der Querdenker) das Schlusslicht bildet. Allein in Deutschland müssen jährlich zirka ½ Mio. Jugendliche wegen unzureichender Schreib- und Lesekompetenz zur Berufsvorbereitung in Höhe von zirka 1,3 Milliarden „nachpädagogisiert“ werden.