Über das Wesen der Liebe

So enthüllt sich eine Art von Wechselseitigkeit oder sozusagen Einheit zwischen der echten Liebe und dem aktiven Leiden. Denn wenn uns nicht der Schmerz erzieht, gelangen wir nicht zur selbstlosen und mutigen Tat. Die Liebe wirkt auf die Seele wie der Tod auf den Leib: Sie versetzt den Liebenden in das Geliebte und das Geliebte in das Liebende. Lieben heißt somit, das Leiden lieben, weil wir so Freude und Tun eines anderen in uns lieben: diesen in sich liebenswerten und teuren Schmerz, den alle bejahen, die in erfahren und ihn gegen alle Lieblichkeit der Welt nicht tauschen möchten. Wenn es für den Menschen gut sein soll zu leiden, so ist das keine Konvention, sondern es ergibt sich aus der tieferen Natur der Sache. Wird nicht die höchste Schwierigkeit des Lebens gelöst und das stärkste Ärgernis für das menschliche Bewußtsein unterdrückt sein, wenn wir recht verstehen, dass der Schmerz die unendliche und wahre Freude bewirkt, weil er unserem Wollen endlich jene große Erleichterung schenkt, alles gutheißen zu können? Wer nur das Geheimnis weiß, in der Bitternis gütig zu sein, für den wird alles leicht.

MAURICE BLONDEL