Indem der Geist nichts will als frei sein und keinen anderen Zweck hat als seine Freiheit, so ist der Staat nun der Spiegel, worin er seine Freiheit als ein Wirkliches, als eine Welt vor sich hat. VORLESUNGEN ÜBER DIE PHILOSOPHIE DES GEISTES 263
Wenn
- WIDERSPRUCH den Grund von allem aufspannt
- VERNUNFT ihn nicht löst, sondern umfasst
- FREIHEIT das höchste Gut ist
dann steht als vernünftigste Form der Freiheit für Hegel an der Spitze – der STAAT.
Kulturen des Respektes werfen weniger Freiheit ab als solche des Staates.
Die Regel schafft das einmalige Subjekt durch Absehen von seinen Besonderheiten. Freiheit legt zu im Zusammentreten von Widersprüchlichem, das nicht durch Anerkennung weggezaubert wird, sondern mich einspannt – als Bürger des Staates, dessen Grammatik Privatsein und Besonderheiten widerspricht. Es gibt keinen anderen Weg herauszufinden, wer man mehr selbst werden kann.
Der Staat schützt nicht nur den einzelnen vor fremder Willkür, sondern schafft dem Subjekt absolute Freiheit durch Vorstellung von Strukturen, welche seinen privaten Belangen widersprechen. Der Staat nötigt das Subjekt damit, frei zu werden.
Der Staat ist Quelle der Freiheit, weil er dem Subjekte den dafür nötigen Widerspruch schafft.
Es geht ohne “Staat”, wenn man frei sein will, aber nicht ohne die Struktur als Hindernis, das alle von ihm Betroffenen gleich macht. Hegels Vorstellung ist völlig unverträglich mit dem Anarchismus.
Eigennutz hat nichts mit der Freiheit des Subjektes zu tun. Diese hängt davon ab, wie sehr es von Eigennutz entfremdet wird. Deswegen können Parteien nicht frei machen (sie richten sich gegen die Entfremdung). Nur die Vorstellung des Staates untergräbt den Eigennutz.
Das Untergrabensein ihres Eigennutzes macht Staatsbürger aus. Ihr Verhältnis ist kein organisches, sondern das von Soldaten oder Gefangenen. Frei werden sie durch das Behandeln dessen, was sie nicht sind.
Der Faschismus entsteht dagegen durch Zurückdrängen des Staates für die Partei oder Räuberbande. Wer sich als Privatmann erlebt, sonst zu einer Partei gehört, ist empfänglich für den Charme eines totalitären Führers, der verspricht, die Interessen durchzusetzen.
Der Staat dagegen hängt nicht ab davon, dass private Verhältnisse harmonisch sind, und stellt so ihre Unwichtigkeit heraus.
Der autoritäre Führer möchte Harmonie schaffen, indem er den Stolz verunmöglicht, der sich herleitet aus dem öffentlichen Amt. Er verstümmelt weder Eigennutz noch Privatleben, im Gegenteil. Alle persönlichen Gesten und Verfehlungen werden ermutigt, solange der öffentliche Raum kastriert bleibt.
Der Staatsbürger verkommt solcherart zum Individualisten. Aber das Durchstreichen der öffentlichen Rolle erstickt schließlich die Subjekte, die unter autoritärer Herrschaft leben müssen. Man braucht die Öffentlichkeit, um sein Privatleben zu akzentuieren, aufzuwiegen.
Selbst ohne Faschismus besteht die Gefahr modernen Lebens darin, den Staat als bloße Gemeinschaft zu verstehen, in welcher die Einzelnen dem Ganzen nützen, indem sie ihrem Nutzen nachgehen. So entsteht der Eindruck, der Staat überwache lediglich den Austausch von Interessen. Auf diese Weise kann kein Bürger frei werden.
Staat und Partei haben verschiedene Grammatiken. Letztere ermutigt den einzelnen, ganz seinen privaten Interessen zu folgen – der Staat dagegen verlangt, dass der einzelne sich zuerst und zumeist als öffentliches Wesen bestimmt.
Fasst man den Staat nur als Schutz- und Trutzbündnis auf, schrumpft er ein auf die Logik der Partei. Hält man seine Teilhabe nur für eine Option, verkennt man völlig die aufbauende Rolle des Staates für die eigene Subjektivität.
Der Staat wirkt dort unterdrückend, wo er Arm von Parteien wurde (Dienstmagd des Kapitalismus). Geschieht dies, liefert er kein Sprungbrett mehr für persönliches Freisein. Auch die Solidarität der Staatsbürger untereinander schwindet. Es bleibt ein Kampf aller gegen aller. Der nötige Widerspruch, der unser politisches Sein befreit, gerät aus dem Blick.
Kapitalisten sehen sich nicht als Staatsbürger. Ihr Stolz verdankt sich nichts Allgemeinem. Sie versinken in ihrer Besonderheit, ohne das Freisetzen echter Privatheit durch eine öffentliche Rolle zu verstehen.
Je zufälliger der Staat, desto unfreier seine Bürger. Weil der Staat Dinge regelt, scheint er die Freiheit einzuschränken. Hegel aber sagt: Wir sind mehr öffentliche Wesen als private – unsere öffentliche Teilhabe gewährleistet unsere Individualität.
Die Umarmung des Staates, seiner Grammatik, hat nichts mit Anpassung zu tun, sondern begründet Freiheit – zu schalten und walten. Kants subjektivistische Freiheit wird zur objektiven, positiv sich ausdrückenden (etwas tun, nicht nur lassen können).
Der Widerspruch: das Subjekt wird frei durch seine Anwendung der Staats-Regel, war es nicht zuvor. Gegenseitiger Respekt entbehrt solcher Grammatik.
Dies ist der Grundwiderspruch, der den modernen Staat ausmacht: er bedingt ein einmaliges Selbst durch die Zerstörung all seiner persönlichen (familiären) Bindungen – schafft die Möglichkeit der Privatheit durch eine Umwidmung des Subjektes zu öffentlichen Person.
Aber auch die Grammatik des Staates muss durchgestrichen sein, um der Grundspannung zu genügen. Wie Hegel meint, durch die Rolle des Monarchen.