Auf Hegels Weg zum Ziel ist die gegenseitige Anerkennung nur eine Etappe, erreicht wird die absolute Freiheit erst mit dem Staat.
Indem der Geist nichts will als frei sein und keinen anderen Zweck hat als seine Freiheit, so ist der Staat nun der Spiegel, worin er seine Freiheit als ein Wirkliches, als eine Welt vor sich hat. VORLESUNGEN ÜBER DIE PHILOSOPHIE DES GEISTES 263
Gegenseitige Anerkennung ist absolut nötig, zeigt aber auch an, dass nicht nur die natürliche Unmittelbarkeit das Subjekt entlassen, sondern dieses auch öffentlich handeln können muss, um frei zu sein. Die Anerkennung löst das Subjekt nur aus seiner Unbefangenheit, verleiht ihm damit aber noch keine absolute Bedeutung.
Der Witz gegenseitiger Anerkennung besteht für Hegel in der Zerstörung der natürlichen Unbefangenheit.
Der Mensch sei wirklich frei, schreibt Hegel in der ENZYKLOPÄDIE DES PHILOSOPHISCHEN WISSENSSCHAFTEN III (220) nur dann, wenn auch der andere frei ist und von mir als frei erkannt wird. Und weiter: Diese Freiheit des einen im anderen vereinigt die Menschen auf innerliche Weise, wogegen das Bedürfnis und die Not dieselben nur äußerlich zusammenbringt. Die Menschen müssen sich daher ineinander wiederfinden wollen. Dies kann aber nicht geschehen, solange dieselben in ihrer Unmittelbarkeit, in ihrer Natürlichkeit befangen sind; denn diese ist eben dasjenige, was sie voneinander ausschließt und sie verhindert, als freie füreinander zu sein.
Die Leistung der Anerkennung besteht im Verdrängen der reinen Bedürftigkeit durch etwas, das uns zusammenbringt.
Gegenseitige Anerkennung ist nicht wertlos. Sie stellt in Frage, dass ich mit anderen nur verkehre, um meinen Eigennutz zu befriedigen. Ohne das Mittel gegenseitiger Anerkennung erlebe ich mich bestimmt durch meine Bedürfnisse – nicht durch das, worin ich anderen gleiche.
Die gegenseitige Anerkennung steht jedoch am Anfang – nicht am Ende – des politischen Prozesses. Er gipfelt nicht in der Anerkennung aller durch aller, sondern im Staat.
Sieht man in Hegel allein den Apostel gegenseitiger Anerkennung, wiederaufersteht daraus der Traum einer Heilung der ontischen Grund-Spannung. Indem wir uns alle anerkennen, scheint der Widerspruch ausgeräumt; das Unbewusste löst sich auf. Dieser Traum vernebelt Hegels zentrale Einsicht.
Seinen Wert als politischer Denker verdankt Hegel der Einsicht: es gibt in Wirklichkeit nur Spannung. Diese darf man nicht wegdenken, sondern muss sie mit Vernunft erfassen, um ganz frei – und endlich gleich – zu werden.