Unter den Philosophen kommt als einziger Heidegger an Wittgenstein heran. Was unterscheidet die beiden noch?
Heidegger ist sich wie Wittgenstein unserer unmittelbaren Umgebung und deren selbstverständlicher Verläufe als Sitz und Quelle echter Bedeutung oder Stimmung bewusst. Als trainierter Philosoph fragt er sich jedoch, wieso es dies alles – das Universum und seine Möglichkeiten – gibt und „nicht vielmehr nichts“, während der ursprüngliche Ingenieur Wittgenstein entzückt die Hände zusammenschlägt angesichts des Wunders der Schöpfung und ihrer Möglichkeiten.
Heidegger will, was ist, zusätzlich gerechtfertigt wissen und kommt deswegen – letztlich – nur zum Warten und nie an den Punkt, mit den Augen zu denken. Im Stil Wittgensteins drängt sich einem als Gegenbild das Theater auf: Wir müssen die Komödie zu Ende spielen und das Unglück ermüden. Während Heidegger sich fragt, wer der Autor des Spielplans sein könnte und woher unsere Einfälle auf der Bühne kommen, graut es Wittgenstein davor, eine erbärmliche Aufführung zustande zu bringen, das Repertoire bedeutender Möglichkeiten verkümmern zu lassen. Dafür, scheint er zu befürchten, könnten wir einmal zur Rechenschaft gezogen werden, wenn nicht in dieser, dann in einer anderen Welt.
Heidegger urteilt wie Wittgenstein skeptisch über die Technik, wenn sie dazu übergeht, ergänzende Möglichkeiten menschlichen Seins und Glücks auf Diät zu setzen (zum Beispiel den Sinn fürs Rituelle, der heute nur noch in scheckigen Tätowierungen zum Ausdruck kommt).
Heideggers Frustration lässt sich gegenwärtig besser nachvollziehen als Wittgensteins latente Begeisterung (die eher in Deleuze weiterlebt). Sie gehört in eine Zukunft, in welcher das heutige Selbst verschwunden ist – nicht in einen Roboter, sondern in eine integrierte Subjektivität, welche nicht länger im Ich und seinen Idiotien stattfindet. Wittgenstein graut davor, dass wir es nicht bis dorthin schaffen könnten, denn es gibt keine sichtbare Brücke, nur das brennende Bedürfnis nach dem einzigen noch möglichen Ausweg.
Heidegger wartet auf die Erlösung vom Nichts durch das Sein – während Wittgenstein uns die Augen für das am nächsten Liegende und Offensichtlichste öffnen will.
Wittgenstein deckt sich in zentralen Punkten mit dem Buddhismus, nur dass er sich weigert, das Begriffliche (Sprachliche) für weniger real zu halten als das Phänomenale. Auch sträubt sich sein moralischer Impuls gegen das Gelächter als fundamentale Antwort auf die Welt.
Wittgensteins Vorschlag, Phänomene wie Gesichter und Begriffe wie Werkzeuge zu verstehen, kann den Antagonismus zwischen Begriff und Anschauung versöhnen.