Zitat 1: Vor dem Ochsenstall hing von einem gewaltigen Gleditschienbaum, dessen Stamm durch das Vieh glattgescheuert war, an einem Drahtseil eine große, rostige Pflugschar herab. Bei Tagesanbruch, einige Minuten vor drei Uhr, trat die Nachtwache aus dem Stall und schlug mit einem Riesenknüppel oder Jocheisen auf die Pflugschar, die dem Klang nach zu urteilen, einen Sprung aufwies. Es ertönte ein weit hörbarer, langanhaltender, häßlicher Ton, mit einem Nachklang ähnlich dem Knirschen des Griffels auf der Schiefertafel. Die Puszta erwachte mit einem leichten Nervenschock.
Ziehbrunnen fingen an zu quietschen, die Ochsentreiber nahmen einen kräftigen Schluck Wasser in den Mund, spien ihn in die hohlen Hände und rieben sich das Gesicht oder meist nur die Augen damit ab. Blitzschnell waren sie mit der morgendlichen Toilette fertig. Schon ertönten laute Rufe. Das tägliche Leben nahm, vorerst nur in den Stallungen, seinen Anfang.
Nach althergebrachter Landessitte begann die erste Fütterung in den Kuh-, Ochsen- und Pferdeställen Punkt drei Uhr. Um drei Uhr früh waren also die Schweizer, Ochsentreiber und Kutscher schon in voller Arbeit. Futter wurde in die Krippen gestreut, der nächtliche Dung zu Haufen geworfen und hinausgetragen. Wenn — ungefähr um vier Uhr — die Aufseher erschienen, war das Reinigen und Bürsten der Tiere voll im Gange. Um fünf Uhr erhielten sie die zweite Portion Futter und wurden dann zur Tränke getrieben. Während die Ochsen aus den langen Trögen
Wasser schlürften und ihr morgendliches gewaltiges Gebrüll erschallen ließen, streuten die Ochsentreiber schnell frisches Stroh ein und kehrten die Stallungen aus. Dann konnten auch sie ans Essen denken, denn von halb sechs bis sechs war Morgenpause. Jetzt holten sie mit einem kurzen Nickerchen die Zeit nach, die zum vollkommenen Wachwerden notwendig war, machten sich zurecht und zwirbelten ihre Schnauzbärte auf. Punkt sechs Uhr ertönte vom Glockenstuhl der sanfte Klang des Angelus, zur gleichen Zeit mußten sie fertig zum Aufbruch auf den Wagen sitzen. Inzwischen wurden die Schweineherden mit lebhaften Horntönen herausgetrieben.
In den Stallungen der Kutschpferde und in den Mästereien begann die Arbeit um vier Uhr. Die Pferdehirten standen auch erst um diese Zeit auf, da sie mit dem Wechsel der Streu weniger zu tun hatten, die Schäfer um fünf Uhr.
Die Erntearbeiter dagegen erwachten um zwei Uhr, die Taglöhner, wenn es hell wurde, die Frauen, wenn Kühe und Schweine hinausgetrieben wurden. Wenn das Morgengrauen dem Spiel von Sonnenschein und Schatten wich, hatte die Puszta schon den ersten Teil der Tagesarbeit hinter sich gebracht.
Die Wagen knarrten in der Ferne, von wo auch das monotone Geräusch einer Dreschmaschine ertönte. Lange Reihen bückten sich auf einem Feld zur Arbeit, hinter ihnen der Aufseher. Jedes Glied des wunderbaren gewaltigen Betriebes bewegte sich voll lebendiger Kraft dem Ziel entgegen. Das Gesinde arbeitete.
Arbeiter holten Kartoffeln aus den Mieten, säuberten, sortierten, säten, setzten und harkten sie ein paarmal, hackten sie aus der Erde und legten wieder Mieten an. Sie schaufelten den Weizen, bückten sich vor den Sieben, trieben die Maisreibmaschine. Die Ochsentreiber pflügten, eggten, fuhren Futter, beförderten das Getreide zur Bahn, fuhren dann Dung oder Jauche. Dasselbe taten die Kutscher. Die kleinen Wagen der Feldbahn rollten mit der Milch, die von den Schweizern gemolken, filtriert, gekühlt und in den erstklassig eingerichteten Milchküchen in Kannen gegossen wurde. Die Aufseher rannten umher. Die Inspektoren wischten sich den Schweiß von der Stirn und bestiegen sorgenschwer den Wagen, um von einem Feld zum anderen zu fahren. Aus der Schmiede ertönte der ununterbrochene Klang des Hammers, denn die Schmiede ließen selbst dann ihren Hammer auf dem Amboß klingen, wenn sie nicht sofort auf das Eisen schlugen. Der Wagner drechselte, der Maurer verputzte, der Küfer wusch die Fässer. Was tat die Herrschaft? Hierauf findet sich keine Antwort, denn auf der Puszta gab es keine Herrschaft.
Die Mittagspause wurde im Sommer durch die Dampfpfeife der Dreschmaschine, im Winter durch das Schlagen auf die bekannte Pflugschar angezeigt. Die Mittagsrast dauerte vom Sankt Georgstag bis Sankt Michael, also zwischen dem 24. April und 29. September, anderthalbe Stunden und diente dazu, den in der Nacht versäumten Schlaf nachzuholen. Der Zug der speisetragenden Frauen brach um elf Uhr von der Puszta auf, aber nicht so fröhlich wie zu Großvaters Zeiten. Die fein säuberlich angezogenen Frauen trugen in gerader Haltung ein Gefäß auf dem Kopf; allerdings war der Inhalt recht armselig und ein jeder konnte froh sein, daß es überhaupt zu dem bißchen Suppe reichte. Der Aufzug glich einer sakralen Handlung vergangener Zeiten, deren Sinn und lebendiger Inhalt zwar verlorengegangen war, die aber dennoch Tag für Tag von den Hütern der Tradition, auf alle Einzelheiten peinlich bedacht, wiederholt wurde. Zwei oder drei Frauen hätten durchaus genügt, um ohne jede Schwierigkeit den Männern das Essen auf die Felder zu tragen. Aber keine wollte Zurückbleiben. Auch das Herrichten der Speisen geschah mit Liebe und Umständlichkeit, als ob es sich um eine Festgabe gehandelt hätte. Das Gefäß wurde mit einem schon zusammengelegten sauberen Leinentuch zugedeckt, ob der Inhalt nun etwas Suppe oder ein bescheidenes Stück Brot mit einer runzeligen sauren Gurke war. Sie banden sich wie zum Kirchgang ein Tuch um den Kopf und warteten aufeinander. Dann machten sich die Priesterinnen der Atzung mit würdevollen Schritten auf den Weg. Am Ziel angelangt, trennten sie sich wieder. Die Feldarbeiter aßen aus einer großen gemeinsamen Schüssel, die Ochsentreiber jedoch nicht, denn von ihnen hatte jeder seinen Haushalt, seine Selbständigkeit. Die Paare verzogen sich jedes für sich unter einen Baum oder in den Schatten eines Schobers. Die Erklärung zu diesem Verhalten, das einer unserer bekannttesten Kanzelredner als Zeichen der seelischen Stärke des Volkes bezeichnete, gab mir ein Verwalter: »Sie sind sehr schlau und wollen es nicht zeigen, daß sie so wenig oder womöglich gar nichts essen. Wenn sie fertig sind, wischen sie sich sogar den Mund ab.« Nach meiner Erinnerung aßen in Racegres alle wenn nichts anderes, dann wenigstens Brot. Es gab aber Familien, die im Flerbst wochenlang nichts anderes aßen als weiße Bohnensuppe. Meine Lieblingsspeise war gekochter kalter Stangenmais, nur schwach gesalzen. Die anderen aßen zum Frühstück, ja sogar zu Mittag dasselbe, aber stark gesalzen, damit sie wenigstens große Mengen Wasser trinken konnten. Fleisch war eine Seltenheit, es gab sogar Familien, die jahrelang kein Schwein schlachten konnten. Geflügel sparten sie sich für die Zeit der schweren Arbeiten im Sommer auf. Mehlspeisen, meist mit Kartoffeln zubereitet, aßen sie besonders gern, solange das als Deputat erhaltene Mehl reichte. Wenn es zu Ende war, dann versuchten die Frauen Futterrüben genießbar zu machen, meist mit wenig Erfolg, da sie schlechte Köchinnen waren.
Im Winter war die Mittagspause kürzer, nur eben die Zeit zum Essen. Dafür war auch weniger Arbeit zu verrichten. Im Sommer wurde das Vieh dreimal täglich gefüttert, im Winter nur zweimal, früh und abends, sobald es dämmerte, dann aber reichlich, denn die Ochsen mußten für die schwere Sommerarbeit gekräftigt werden.
Nach dem Mittagessen ging die Arbeit einförmig und trotz ununterbrochener Anspornung schleppend wie am Vormittag und das ganze Leben hindurch weiter. Im Sommer gab es zur Vesperzeit für die Feldarbeiter eine kurze Pause, während die Fuhrwerke unterwegs nicht stehenbleiben durften. Dann fing es an zu dämmern. Die Herden kehrten heim, an ihrer Spitze natürlich die Schafe. Die Abendfütterung und Tränke, das Herrichten der Stallungen für die Nacht erfolgte in den Ochsen-, Kuh- und Pferdeställen von sechs bis sieben Uhr, in den Fohlenställen um fünf Uhr, bei den Schafen im Winter um sieben Uhr, im Frühjahr und Herbst von drei bis vier Uhr. »Das hätten wir wieder einmal geschafft!« sagten die Leute, wenn sie die letzte Gabel voll Heu in die Krippe geworfen hatten und sich entweder vor oder in den Stallungen um eine qualmende alte Stallfunzel versammelten, um den Aufseher mit den Befehlen für den nächsten Tag zu erwarten. Jetzt konnten sie sich endlich waschen, denn es wäre widersinnig, sich in der Früh zu säubern, wo doch in der kürzesten Zeit Staub, Spreu oder Jauche sie wieder beschmutzen würde. Sie konnten endlich nach getaner Arbeit heimkehren und sich zu Tisch setzen. Die Abendglocke erklang. Im Geiste sah ich, wie im fernen Neband Großmutter die Hühner für die Nacht in den Stall trieb, das Kreuz schlug und, ohne das jammernde Gezeter von Frau und Kind zu beachten, das die Heimkehr eines Ochsentreibers ankündigte, ein stilles Gebet murmelte.
Nach der Befehlsausgabe und vor dem Abendessen war die kurze Zeit, in der sich an Wochentagen ein halbwegs menschenwürdiges Leben auf der Puszta abspielte. Die Ochsentreiber näherten sich in Gruppen ihren Wohnungen und standen in Erwartung des Abendbrotes herum. Als Kind waren für mich diese dunklen Abende, an denen ich umherstreunte, wie eine geheimnisvolle, mit tausend Überraschungen drohende Reise. Aus den Küchentüren drang gelbes Licht ins Freie und beleuchtete reliefartig die dunkeln Gestalten der Männer. Durch die Fenster schaute ich in die Küchen und Zimmer hinein, so als ob ich in die durch starke Strahlenbündel beleuchtete Welt des Meeresgrundes blicken würde. Ich kannte die Wohnungen und die Menschen, die sich dort bewegten, vom Tag her zur Genüge, aber wenn ich sie abends durch das Fenster in künstlichem Licht erblickte, schienen sie mir ganz anders, interessanter und sehenswürdiger. Dabei kannte ich ihr Leben in allen Einzelheiten, denn bei uns war, wenn ein Fremder durch die beleuchteten Fenster hereinschaute, auch nichts anderes zu sehen, als bei ihm selber. Es war wie im zoologischen Garten vor einem Käfig mit einer Tafel, auf der »Hund« stand und dessen wohlbekannten Insassen ich genau besah und mir sagte: »Das ist also der Hund.« So war es auch bei den hellerleuchteten Fenstern, wo ich sagen konnte: »Das sind die Szabos« oder »das die Egyeds« und mir alle Einzelheiten einprägte. Dabei war weder bei der Familie Szabo, noch bei den Egyeds etwas Besonderes zu sehen, denn sie gehörten dem einfachen Gesinde an. Auf dem Lehmboden gingen barfüßige Frauen hin und her, ein Mann streckte sich oder setzte das Rohr einer alten Gießkanne an den Mund, um daraus zu trinken. All dies erschien mir gespenstig aufregend. In Racegres gab es damals Wohnungen, in denen mehrere Familien zusammen lebten, ohne daß das Zimmer vollgepfercht erschien. In jeder Ecke stand ein Bett, daneben eine Kommode oder eine Truhe. Die Mitte des Zimmers blieb leer, da kein Tisch vorhanden war. In der Ecke brannte eine Lampe. Die Mitglieder der einzelnen Familien gingen wie auf vorgezeichneten Linien umher, ohne sich gegenseitig zu stören oder im Wege zu sein. Ein Mädchen zog sich die Bluse aus, niemand achtete darauf. Die Kinder wurden zu Bett gebracht, woraus man ersah, daß das Abendbrot fertig war. Man aß in der Küche, jeder für sich, den Teller oder das Töpfchen zwischen den Knien haltend. Suppe gab es abends meist für jeden, dazu ein großes Stück Brot oder Fladen — das Wohlergehen des Racegreser Gesindes war weit und breit bekannt. »Racegres!« riefen voller Neid die Bewohner der benachbarten Puszta aus, »da gibt es noch ein Zusammenhalten!« Es gab hier tatsächlich ein gewisses Empfinden der Gemeinschaft, das Gesinde wechselte nicht so oft wie auf anderen Gütern. Es gab weniger Eifersüchtelei und Angeberei als anderswo. War das vielleicht der Grund, daß es ihnen besser ging? Jedenfalls stießen die neuangestellten Inspektoren auf nicht faßbare Widerstände, wohl die letzten Überreste der alten Pusztaverfassung.
Ich streunte herum, bis meine Mutter im gleichen Tonfall, wie sie die Hühner zu locken pflegte, unsere Namen rief. Wir nahmen dann gemeinsam am Tisch sitzend das Abendbrot ein. »Ihr lebt wie der Graf«, murmelte mürrisch, aber auch voller Lob der Nebander Großvater, wenn er, was selten vorkam, bei uns aß. Dabei hob er verächtlich das Tischtuch, um zu zeigen, wie gering er derlei Luxusartikel schätzte, und schnitt sich das Brot ostentativ mit dem Taschenmesser ab. Denn bei uns hatte ein jeder nicht nur seinen eigenen Löffel, sondern auch Messer, Gabel und Teller, ja sogar ein Glas.
Nach dem Abendessen, vor dem Schlafengehen, blieben ein paar kurze mit Spannung geladene Minuten übrig: als ob die Menschen am Ende des Tages entdeckt hätten, daß es etwas gibt, wofür es sich lohnt zu leben, und als ob das durch die warme Speise hervorgerufene wohlige Gefühl sie aus der drückenden Alltagsstimmung in eine freiere Sphäre gehoben hätte. Die Aufseher schlossen sich in ihre Wohnungen ein, die Wachhunde wurden im Schloßhof freigelassen. Die Nachtwächter waren noch nicht unterwegs, aber die Türen der Gemeinschaftsküchen schon geschlossen. Vor den Häusern erklangen schwere Tritte, beim unsichtbaren Schein der Laternen verschwanden die Ochsentreiber nacheinander in ihre Stallungen. Plötzlich erklang Lachen und hinter unserem Haus, wo eine Akazienpflanzung bis hinauf zum Friedhof reichte, das Geräusch von Laufschritten — dann ein Aufschrei. Erregt spähte ich durchs Fenster in die dunkle Nacht hinaus und schlüpfte wenn möglich noch vor das Haus, die Unannehmlichkeiten einer zweiten Fuß-Waschung auf mich nehmend, denn wir mußten, bevor wir zu Bett gingen, unsere Füße waschen, da wir tagsüber barfuß herumliefen. Der Staub des Tages hatte sich gesetzt, aus den offenen Türen der Kuhställe quoll warmer Kuhgeruch über die Puszta. Vom Dreschplatz floß wie ein breiter Strom der Duft eines frischen Heustapels ins Tal hinunter. Manchmal warteten wir auf Vaters Heimkehr, dann durften wir ihm bis zum Rand der Puszta entgegengehen. Oder wir aßen bei Großmutter, und ich durchquerte das Dunkel zwischen den zwei bekannten Häusern, als ob ich in einem fremden Weltteil über schwankenden Sumpfboden schreiten müßte. Mit Herzklopfen horchte ich auf jedes Geräusch, konnte jedoch selten seinen Sinn erfassen. »Kati-i« erklang von irgendwo die Stimme einer ihre Tochter suchenden Mutter. Keine Antwort. Nur die Schweine grunzten oder die Hühner schlugen in ihren Ställen mit den Flügeln. Ein anderes Mal plötzlich »Klirr«: eine Fensterscheibe ging in Trümmer. Gleich darauf erklangen wüster Lärm und Geschrei, als ob die gärende Spannung der Gemüter das Fensterglas gesprengt hätte. In einer Gemeinschaftswohnung war vor dem Schlafengehen eine Rauferei entbrannt. Wenn dann die Rauflustigen zum Messer oder sogar nach dem Beil griffen, dann halfen sich die Frauen in recht einfacher Weise: sie schlugen eine Fensterscheibe ein. Dieses Verfahren brachte zweifachen Nutzen. Nach außen war es ein Notsignal, innen wirkte es auf die erregten Gemüter ernüchternd, die zerbrochene Scheibe kostete mehr und hatte ernstere Folgen als ein eingeschlagener Schädel. Die Männer schliefen schon wegen dieser Familienzwistigkeiten ungern zu Hause.
Dann wurde es still. Manchmal verfing sich ein Fuchs im Fangeisen und schrie beim jähen Schmerz unwillkürlich auf. Männer eilten mit Laternen und Beilen herbei und schlugen das Tier tot. Dann wurde die Stille höchstens noch von spät heimkehrenden Fuhrwerken unterbrochen.
Zitat 2: [Sonntags] Wir Kinder strichen zu dieser Zeit um den Schloßgarten herum. Wir sprangen über den mit moorigem Wasser gefüllten Burggraben und zogen uns, um von innen unbemerkt zu bleiben, vorsichtig an dem weidegeflochtenen Gartenzaun hoch. Drinnen auf den mit roter Erde angelegten Tennisplätzen flogen die weißen Bälle und die Röckchen der schnellen Spielerinnen. Besonders aufregend war es, die Herrschaften zu beobachten, wie sie in Gartenstühlen sitzend plauderten oder Kaffee tranken. Manchmal brachten sie das Grammophon heraus und ließen es spielen. Einmal hob mich ein Gast des Pächters Strasser über den Zaun und steckte meinen Kopf in den gewaltigen Schalltrichter; dann erlaubte er mir, den Apparat aufzuziehen: eine meiner schönsten Erinnerungen.
Vor den Gesindehäusern mischten sich in den Klang der Zither die gezogenen Töne einer Harmonika; dann setzten die schleppenden Lieder der Mädchen und der Burschen ein. Frohe Lieder sangen sie nie. Dagegen wurde der Tanz, wenn es dazu kam, wild und ungestüm. Die Mädchen saßen in Reihen auf einem gefällten Baumstamm und wiegten
sich im Rhythmus der Musik wie die Saat im Winde. Die Burschen standen getrennt in einer Gruppe an eine Hauswand gelehnt und schlugen vor sich hinsummend mit den Stiefeln den Takt.
Das Himmelreich ging um fünf Uhr in Trümmer. Ein Hornsignal gab ihm den Todesstoß. Die Tränke begann. Die Alten richteten sich, auf ihre Hände gestützt, mit knarrenden Gelenken von den Schwellen auf und verschwanden seufzend in den Ställen. Die Glücksspieler beendeten schlechtgelaunt ihr letztes Spielchen und eilten zu ihrem Vieh. Die Töne der Harmonika wurden vom kläglichen Gebrüll der Ochsen abgelöst, die an den Wassertrögen stehend ihre speicheltriefenden Nasen unruhig gegen den Himmel reckten. Die Dämmerung kam und mit ihr jammervolles Schweinchengequietsch, denn inzwischen war es Zeit zur Abendfütterung geworden. Dann ging man wieder schlafen. Der Tag, für den es sich lohnte, die Woche, ja das Leben durchzurackern, war vorbei. Es gab aber auch Leute, die ihn durchschliefen, um einmal völlig ungestört zu sein. Betrübt ging ich nach Hause und brachte je nach der Jahreszeit Maikäfer oder Blumenköpfe mit, die ich in imaginären Schlachten abgeschlagen hatte, oder ich traktierte die an den Böden angefrorenen Ziegel mit Fußtritten. Ärgerliche Bitternis überkam mich, als ob mich jemand bestohlen hätte. Schweigend rührte ich das Schweinefutter um und trug es in einer alten lecken Gießkanne zum Stall. Die Brühe floß an meinem Bein herunter. Ich schnitt Häcksel und fütterte die abgesetzten Kälber. Heu oder Frischfutter im Arm, trat ich zu den Kühen, die ihre Anhänglichkeit mir statt ihren geraubten Kindern angedeihen ließen, indem sie mir trotz aller Abwehr mit ihren rauhen Zungen Hals und Wangen leckten.
Wenn ich den Stall verließ, war es schon dunkel. Durch die Fenster der Gesindewohnungen fiel da und dort ein Lichtschein. Es begann zu schneien oder zu regnen.
DIE PUSZTA Kapitel 7 – Wochentag und Sonntag
Veröffentlicht am