Zitat 1: In dieser Umwelt, in der man so streng auf die Reihe der Ahnen achtet, war ich der Kronprinz. Meine Abstammung war von beiden Seiten besonders günstig. Ich lernte bald kennen und schätzen, was das Wort »Schäfer« bedeutet. Im Gesindevolk gehörten alle Hirten, die ihr Handwerk seit Urzeiten betrieben, zum vornehmsten Adel. Die Viehhirten stolzierten auf der Puszta mit der gleichen Überlegenheit umher wie die Ureinwohner zwischen fremdem Gesindel. Töchter von Ochsentreibern erröteten vor Stolz, wenn ein Pferdehirt (Csikos) sie um die Taille nahm. Aber alle wurden klein und still, wenn ein Schäfer seine Stimme erhob.
»Warum diese Hochachtung?« fragte ich Großvater, von dem der Abglanz auch auf uns fiel.
»Der Schweinehirt ist ja im Grunde genommen auch ein Hirt, aber was für ein Hirt?« erklärte der Großvater. Eher ein Wächter, wenn nicht sogar Taglöhner. Er durfte sich nie setzen, sondern mußte ununterbrochen aufpassen. In der Linken, denn ein Schweinehirt mußte auch mit der linken Hand knallen können, die lange Peitsche, in der Rechten einen starken, kurzen Stock, den er als Wurfgeschoß benützte, wenn die Herde unruhig wurde. Diesen kurzen Stock konnte er als Stütze unterschieben, wenn er des Stehens müde ward. Wie ein Ölgötze stand der arme Kerl da, über der Schulter den vollen Proviantsack, den er nie ablegen konnte, da sich die Schweine sofort über den Inhalt hergemacht hätten. Im Gürtel die »Balaska«, ein kurzes, zierliches Handbeil, eigentlich als Schutzwaffe gegen wildgewordene Eber gedacht, meist aber nur bei Kirchweihfesten oder beim Sonntagstanz im Gebrauch.
Die Ochsenhirten? Die durften sich angeblich setzen. »Wenn sie auf dem Kuhfladen ausrutschten!« meinte Großvater mit hochmütiger Schadenfreude. Er war zwar für das Zusammenhalten des Hirtenvolkes, konnte aber bei Gelegenheit seinen Hohn nicht unterdrücken. »Vieh- und Ochsenhirten sind hungrige Wegelagerer«, verkündete er mit schallendem Gelächter. Sie durften sich nur dann setzen, wenn ihre Anzahl ausreichte, um die Herde zu umfassen aber auch dann nur in halbhockender Stellung, daß ihre Knie das Kinn berührten. »So lautet die Regel«, meinte Großvater. »Sie sitzen also eigentlich nicht.« Beim Stehen lehnten sie sich auf ihre langen Stöcke, es gab auch welche, die so schlafen konnten. »Haben die denn ein Reittier?« trumpfte Großvater auf, diskret das Eselchen verschweigend, mit dem er mehr als einmal aufgezogen wurde.
»Und wie verhält es sich mit den Pferdehirten, Großvater?« — »Die stehen den ganzen Tag am Brunnen und ziehen Wasser«, winkte er, den Kopf in den Nacken werfend, ab, und man merkte, daß er ein verächtliches Ausspucken kaum unterdrücken konnte. Auf sie hatte er es anscheinend besonders abgesehen.
Die Schäfer hatten es leichter, denn sie konnten sich wann und wo sie wollten hinlegen. Ihre sonstigen Vorrechte waren zahlreich und wohlbehütet wie die einer freien Stadt. Großvater lag eines Tages geruhsam auf einem Hügel nahe der Straße, als ein Wagen hielt und der Kutscher ihn anrief: »He, du, komm mal her!« ohne daß Großvater, selbst nicht einmal sein Hund, sich gerührt hätten. Plötzlich stieg ein Herr aus dem Wagen und stolperte mühselig den Abhang hinauf: »Sind Sie taub?« fragte er, »mein Kutscher schreit sich den Hals aus. Ich bin der Komitatsno- tar.«
»Was geht das mich an?« sagte Großvater.
»Wo ist die nächste Tränke?« antwortete jener, als ob er die Antwort nicht gehört hätte.
»Da und dort«, sagte Großvater ohne zu grüßen, da man ihn auch nicht begrüßt hatte. Er antwortete wie ein Pascha auf dem Ruhebett.
»Man merkt, daß Sie Schäfer sind«, war das letzte Wort des Notars.
Er weidete die Herde, wo es ihm eben paßte. Zu Mittag trieb er sie in die Nähe der Puszta und aß zu Hause. Nachmittags gefiel es ihm — da er kein Verächter eines guten Trunkes war — in der Nachbarschaft der Weinkeller zu sein. Selbst dort wählte er sich den besten Keller aus.
Zitat 2: Klatsch verbreitete sie nie aus unserem Haus, desto mehr aber strömte eben deshalb hinein. Das Herz meiner Mutter war der Abladeplatz aller Schmerzen und Seelenkonflikte der Pusztabewohnerinnen. Vielleicht war dies eine der Ursachen ihrer bedrückten Gemütsverfassung; denn die Frauen ließen kein gutes Haar aneinander.
Und dennoch waren — eigentümlicherweise —- die trennenden Gegensätze nicht so groß wie zwischen den Männern. Anderswo sind die Frauen die strengsten Hüterinnen des Kastengeistes — die Frauen der Puszta dagegen schlüpften biegsam unter oder über der Scheidewand zu einem Scharmützel oder einer Umarmung durch. Die Frau des Meiereiaufsehers weinte ihren Schmerz, nachdem ihr Mann sie verprügelt hatte, an der Brust der Frau des Schweinehirten aus.
DIE PUSZTA Kapitel 6 – Die Leitung der Puszta. Hirten, Aufseher und Inspektoren.
Veröffentlicht am