Zitat 1: Die Hochzeiten, an denen ich oft teilnahm, wüste Freß- und Saufgelage in den herrschaftlichen Remisen, oder bei schönem Wetter unter den großen Akazienbäumen, endeten um Mitternacht mit dem Abzug des jungen Paares in eine Gemeinschaftswohnung. Die Hochzeiten waren von verschwenderischer Üppigkeit, Wein und Fett vermischten sich auf den Tischen, in den Pfannen schmorten Hühner und Enten, magere Dienstboten würgten kindskopfgroße Krautwickelfüllungen den dürren Hals hinunter. Sie entschädigten sich für das Fasten eines ganzen Jahres und vertilgten die Jahresvorräte der zwei feiernden Familien. Diese Völlerei war ebenso ein hergebrachter Bestandteil der Hochzeitszeremonie wie der kirchliche Segen. Sie war noch wichtiger als dieser, denn es kam oft vor, daß die Paare ohne kirchlichen Segen heirateten, nie aber, daß ohne eine »richtige« Hochzeit an die Kirche gedacht wurde. Eine solche Schande hätte keine Familie über sich kommen lassen. Wir alle wußten, daß die Tochter unseres Nachbarn in einen Burschen aus der Nachbarschaft verhebt war und daß ihre Liebe erwidert wurde, das heißt, daß die beiden ein Verhältnis hatten. Trotzdem wurde sie nicht seine Frau, sondern die eines anderen Burschen, von dem sie ganz richtig schon vor der Hochzeit ahnte, daß er sie ihr ganzes Leben lang noch mehr als üblich schlagen würde. Ihren Geliebten heiratete sie nur darum nicht, weil sie sich über die Hochzeitsfeierlichkeiten nicht einigen konnten. Dabei waren es nicht einmal die zwei Familien, die unstimmig wurden, sondern das Mädchen zerstritt sich mit ihrer zukünftigen Schwiegermutter darüber, was gebraten und welche Personen eingeladen werden sollten. Zu den Hochzeiten holte man entweder für 15 Pengö Zigeuner oder eine Blechmusik, die für 30 Pengö den furchtbarsten Spektakel machte. Zu uns kam immer eine Blasmusik-Kapelle aus dem benachbarten Schwabendorf Nagyszekely. Eines der schönsten Mädchen der Puszta wartete anderthalb Jahre mit der Hochzeit, bis sie das für die Musikkapelle notwendige Geld zusammengespart hatte, denn die Schwaben forderten von den Pusztabewohnern Vorauszahlung. In Kölesd erhängte sich ein Bursche aus ähnlichen Gründen. »Er starb, der Arme, weil er seine Liebe nicht heiraten konnte«, meinte das Gesinde voller Verständnis. Den Frauen einer uns verwandten Familie wollte meine Mutter klarmachen, daß es vernünftiger sei, statt der Verschwendung anläßlich der Hochzeit dem jungen Paar einige Möbel oder ein paar Schweine zu schenken. Der Erfolg war, daß sie uns zur Hochzeit nicht einluden und uns den guten Rat jahrelang nachtrugen. Die Hochzeit mußte in dieser Wüstenei von Elend und Hunger so sein, daß man sich ihrer »erinnerte«. Sie war nicht nur ein Anlaß, sondern sozusagen ein Racheakt für das viele Darben, nicht etwa eine weitere Belustigung oder ein Genuß, sondern sie glich einem barbarischen, selbstverstümmlerischen Menschenopfer. Der Vorstadtproletarier konnte sich jeden Samstag betrinken; die Pusztabewohner dagegen sahen, da es auf der Puszta kein Wirtshaus gab, monatelang keinen Alkohol, und selbst, wenn es welchen gegeben hätte, hätten sie kein Geld gehabt, ihn sich zu kaufen. Auch duldete keine Gutsverwaltung Trunkenbolde in ihrem Bereich. Wenn die Leute sich dennoch hier und da Alkohol verschaffen konnten, so flüchteten sie sich mit der fieberhaften Gier eines Verdurstenden in diese kurzfristige Freiheit, in das Vergessen und das innere Beschwingtsein des Rausches. Wie schön, wie engelhaft rein und kindlich waren sie nach dem ersten Glas, in den ersten Stunden des künstlich erweckten menschlichen Selbstbewußtseins!
Zitat 2: Ich erinnere mich eines kleinen Mädchens. Meine erste Erinnerung ist, daß das Kind eines Nachmittags, als uns meine Mutter eben das Brot zur Jause schnitt, in der Küche erschien und ebenfalls um ein Stück Brot bat, da sie meine Geliebte sei. Ich war damals fünf Jahre alt und ging noch nicht in die Schule. Zehn Jahre später, als sich die gleiche Szene mit demselben Mädchen wiederholte, wußte ich vor Scham nicht wohin, nickte trotzdem zustimmend, ohne daß mein Geständnis irgendwie Aufsehen erregte, im Gegenteil: man fand es ganz natürlich. Meine Mutter kam der Bitte, die eher wie eine Forderung oder ein angemeldeter Anspruch klang, lächelnd nach, streichelte und küßte das Kind, das unser Dauergast wurde und sich sofort an meine Fersen heftete. In die Volksschule der Puszta kam sie ein Jahr später als ich. Auch hier behauptete sie das gleiche wie seinerzeit bei uns zu Hause in der Küche, um sich in der noch strenger als die Welt der Erwachsenen organisierten Kindergesellschaft den gebührenden Platz und Achtung zu verschaffen. Sie erhob Anspruch auf mich, verteidigte und dirigierte mich, veranstaltete sogar mit mir und meinetwegen Szenen. Wenn ich dort geblieben wäre, hätte ich zweifelsohne sie, die mich aus unerklärlichen Gründen erwählt hatte, wie viele meiner Kameraden es mit ihren Spielkameradinnen taten, heiraten müssen. Auch während meiner jahrelang dauernden Abwesenheit hielt sie unbeirrt an mir fest und beobachtete mit wachsender Sorge meine inneren und äußeren Veränderungen. Wenn ich für die Sommerferien nach Hause kam, starrte sie mich mit dem Ausdruck eines Kalbes an, das, von der Weide zurück, im Zweifel über die heimatliche Stallung ist, da in seiner Abwesenheit ein neues Tor aufgestellt wurde. Mit Bestürzung vernahm sie in meiner Stimme den fremden Klang, beobachtete die fremden Manieren, die ich mir während meiner Abwesenheit angeeignet hatte, beschnüffelte mich wie ein Tier und zog sich allmählich verständnislos zurück. Dann, als ich, nun selber an ihr Gefallen findend, mich ihr nähern wollte, flüchtete sie. Dabei war sie nie meine Geliebte und gehörte auch nicht zum Kreise meiner Kameraden, mit denen ich herumstreunte und so manches erlebte.
DIE PUSZTA Kapitel 11 – Erziehung der Kinder, ihre Frühreife und ihre Beziehungen untereinander. Die Liebe.
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