Die Fabel {Ordnung} des Stücks {Verlaufes} ist nicht schon dann – wie einige meinen – eine Einheit, wenn sie sich um einen einzigen Helden dreht. Denn diesem einen stößt unendlich vieles zu, woraus keinerlei Einheit {Geschlossenheit} hervorgeht. So führt der eine {Held} auch vielerlei Handlungen {Tätigkeiten} aus, ohne dass sich daraus eine einheitliche [Linie] … {Spannungsbogen} ergibt. Daher haben offenbar … die Dichter ihre Sache verkehrt gemacht, die … derlei {character driven} Werke gedichtet haben. Sie glaubten nämlich, dass, weil Herakles eine Person sei, schon deshalb auch [seine Geschichte] … notwendigerweise … [Geschlossenheit habe]. S. 27
Charaktere können eine Geschichte anstoßen, nicht jedoch alleine ausmachen, da sie nicht alle Ereignisse enthalten, welche eine spannende Handlung ordnet.
Demnach muss – wie in den anderen nachahmenden {vorstellenden} Künsten {etwa der Genre-Malerei …} die Einheit der … [Darstellung] auf der Einheit des [vorgestellten] Gegenstandes beruht – auch die Fabel {Folgerichtigkeit}, da sie Nachahmung von Handlung ist {als Verlauf erscheint}, die Nachahmung {Ausgeburt} einer einzigen, und zwar einer ganzen {Anfang ‒ Mitte ‒ Ende} Handlung sein. S. 29
Nicht allein Charaktere geben einer Geschichte Form und Inhalt, sondern auch, was ihnen zustößt und wie sie darauf reagieren ‒ zu einem bestimmten Ende.
Denn als … [Homer] die „Odyssee“ dichtete, da nahm er nicht alles auf, was sich mit dem Helden abgespielt hatte, z. B. nicht, dass dieser auf dem Parnass verwundet worden war oder dass er sich bei der Aushebung wahnsinnig gestellt hatte, ([denn] es war … nicht notwendig oder wahrscheinlich, dass, wenn das eine geschah, auch das andere geschähe) – vielmehr fügte er die „Odyssee“ um eine Handlung {Geschichte} in dem von uns gemeinten Sinne zusammen, und ähnlich die „Ilias“. S. 27 und 29
Nur die Teile eines Verlaufes werden vorgestellt, welche sein Ende bedingen.
Ferner müssen die Teile der Geschehnisse {Geschichte} so zusammengefügt sein, dass sich das Ganze verändert und durcheinandergerät, wenn irgendein Teil umgestellt oder weggenommen wird. Denn was ohne sichtbare Folgen vorhanden sein oder fehlen kann, ist gar nicht ein Teil des ganzen {„… das Rad gehört nicht zur Maschine, das man drehen kann, ohne dass Anderes sich mitbewegt.“ L. Wittgensein Philosophische Untersuchungen 271}. S. 29
Ereignisse, die das Ende einer Geschichte anbahnen, dürfen in ihrem Verlauf nicht fehlen.
Aus dem Gesagten ergibt sich auch, dass es nicht Aufgabe des Dichters {Drehbuchautors} ist, mitzuteilen, was wirklich geschehen ist, sondern vielmehr, was geschehen könnte, d. h. das nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit {schlechthin} Mögliche {an Wirklichkeit}. S. 29
Es ist nicht Aufgabe des dramatischen Autors, etwas Verlaufendes zu beschreiben, sondern gespannt auf dessen Ausgang zu machen.